382 deutsche Aphorismen:
Autorenregister,
Stichwortregister,
Stichwortregister mit Verweisen.
Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)
(englischer
Lebenslauf und deutsche Aphorismen; kurzer
Lebenslauf und weitere Aphorismen)
Dann gnade Gott denen von Gottes Gnaden.
(1 Gnade, 5 Gott, 9 GOTT UND KIRCHE)
Damals, als die Seele noch unsterblich war.
(5 LEIB UND SEELE, 4 Seele, 3 unsterblich)
Lesen heißt borgen, daraus erfinden, abtragen.
(22 BÜCHER UND MEDIEN, 7 ENTDECKUNG UND ERFINDUNG, 2 erfinden, 6 lesen)
Allzeit: wie kann dieses besser gemacht werden.
(1 besser machen, 19 WOLLEN, KÖNNEN, TUN)
Vorstellungen sind auch ein Leben und eine Welt.
(4 SCHEIN UND SEIN, 1 Vorstellungen)
Die kleinsten Unteroffiziere sind die stolzesten.
(21 PSYCHOLOGIE, 3 Stolz)
Gesicht und Seele sind wie Silbenmaß und Gedanke.
(3 Gesicht, 5 LEIB UND SEELE, 4 Seele)
Eine halb neue Erfindung mit einem ganz neuen Namen.
(7 ENTDECKUNG UND ERFINDUNG, 2 Erfindung)
Leib und Seele: ein Pferd neben einen Ochsen gespannt.
(1 Leib, 5 LEIB UND SEELE, 4 Seele)
Schwachheiten schaden uns nicht mehr, sobald wir sie kennen.
(8 FEHLER, 1 Schwäche)
Ordnung führt zu allen Tugenden! Aber was führt zur Ordnung?
(1 Ordnung, 2 Tugend, 13 TUGENDEN UND LASTER)
Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andere ihn
begehen.
(8 FEHLER, 7 Fehler)
Der gesunde Gelehrte, der Mann, bei dem Nachdenken keine Krankheit
ist.
(7 GELEHRTER, 5 Gelehrter)
Heftigen Ehrgeiz und Misstrauen habe ich noch allemal beisammen
gesehen.
(2 Ehrgeiz, 2 Misstrauen, 21 PSYCHOLOGIE)
Bei wachender Gelehrsamkeit und schlafendem Menschenverstand
ausgeheckt.
(1 gelehrt, 36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 6 Verstand)
So sagt man, jemand bekleide ein Amt, wenn er von dem Amt bekleidet
wird.
(3 Amt, 9 AMT UND POLITIK)
Ein Grab ist doch immer die beste Befestigung wider die Stürme des
Schicksals.
(1 Grab, 31 LEBEN UND SCHICKSAL, 6 Schicksal, 7 TOD)
Wer weniger hat, als er begehrt, muß wissen, daß er mehr hat, als er
wert ist.
(1 begehren, 12 BESITZ, 2 besitzen)
Vom Wahrsagen läßt sich's wohl leben in der Welt, aber nicht vom
Wahrheitsagen.
(2 Wahrheit sagen, 13 WAHRHEIT UND LÜGE, 1 wahrsagen)
Die unterhaltendste Fläche auf der Erde für uns ist die vom
menschlichen Gesicht.
(3 Gesicht, 8 MITMENSCHEN)
Einen schlechten Geschmack kann niemand haben, aber gar keinen haben
manche Leute...
(1 Geschmack, 6 MUSIK, KUNST, KULTUR)
Wie nah wohl zuweilen unsere Gedanken an einer großen Entdeckung
hinstreichen mögen?
(2 Entdeckung, 7 ENTDECKUNG UND ERFINDUNG, 10 GEDANKEN, 11 Gedanken)
Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist
das allemal im Buch?
(7 Bücher, 22 BÜCHER UND MEDIEN, 36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 3 Kopf)
Grade das Gegenteil tun heißt auch nachahmen, es heißt nämlich das
Gegenteil nachahmen.
(1 Gegenteil, 5 NACHAHMEN, 4 nachahmen)
Das heißt, man soll mit dem Licht der Wahrheit leuchten, ohne einem
den Bart zu sengen.
(8 Wahrheit, 13 WAHRHEIT UND LÜGE)
Der Mann hatte so viel Verstand, daß er fast zu nichts mehr in der
Welt zu gebrauchen war.
(36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 6 Verstand)
Der Weisheit erster Schritt ist: alles anzuklagen, der letzte: sich
mit allem zu vertragen.
(36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 1 Weisheit)
Wie glücklich würde mancher leben, wenn man sich um anderer Leute
Sorgen ein wenig kümmerte.
(13 EGOISMUS UND ALTRUISMUS, 4 glücklich, 5 helfen, 2 leben, 31 LEBEN UND SCHICKSAL)
``Wie geht's?'' sagte ein Blinder zu einem Lahmen. ``Wie Sie
sehen'', antwortete der Lahme.
(1 blind, 7 GESUNDHEIT, KRANKHEIT, SCHMERZ, 1 lahm)
Es gibt Leute, die glauben, alles wäre vernünftig, was man mit einem
ernsthaften Gesicht tut.
(36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 2 Vernunft)
Lieber Freund, du kleidest deine Gedanken so sonderbar, daß sie
nicht mehr aussehen wie Gedanken.
(4 Ausdruck, 10 GEDANKEN, 11 Gedanken, 18 REDEN UND SCHREIBEN)
Es ist mit dem Witz wie mit der Musik, je mehr man hört, desto
feinere Verhältnisse verlangt man.
(6 MUSIK, KUNST, KULTUR, 1 Witz)
Ein sicheres Zeichen von einem guten Buch ist, wenn es einem immer
besser gefällt, je älter man wird.
(7 Bücher, 22 BÜCHER UND MEDIEN)
Es ist sehr gefährlich, sagt Voltaire, in Dingen recht zu haben, wo
große Leute unrecht gehabt haben.
(36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 2 recht)
Unsere Empfindung ist sicherlich nicht der Maßstab für die Schönheit
des unübersehbaren Plans der Natur.
(2 Empfindung, 8 NATUR UND UMWELT)
Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, das heißt vermutlich: Der
Mensch schuf Gott nach dem seinigen.
(5 Gott, 9 GOTT UND KIRCHE, 10 Mensch, 23 MENSCHEN)
Nicht die Lügen, sondern die sehr feinen falschen Bemerkungen sind
es, die die Läuterung der Wahrheit aufhalten.
(1 Lüge, 8 Wahrheit, 13 WAHRHEIT UND LÜGE)
``Es ist schade, daß es keine Sünde ist, Wasser zu trinken'', rief
ein Italiener, ``wie gut würde es schmecken!''
(2 NAHRUNG, 1 Wasser)
Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe; nichtsdestoweniger
aber trägt es zur Erhaltung meines Geistes bei.
(22 BÜCHER UND MEDIEN, 6 lesen)
Der Stolz, eine edle Leidenschaft, ist nicht blind gegen
eigene Fehler, aber der Hochmut ist es.
(2 Hochmut, 3 Stolz, 13 TUGENDEN UND LASTER)
Manche unserer Originalköpfe müssen wir wenigstens so lange für
wahnwitzig halten, bis wir so klug werden wie sie.
(23 MENSCHEN, 1 Menschen, kluge)
Es ist eine ganz bekannte Tatsache, daß die
Viertelstündchen größer sind als die
Viertelstunden.
(5 ZEIT, 4 Zeit)
Unsere Welt wird noch so fein werden, daß es so lächerlich sein
wird, einen Gott zu glauben als heutzutage Gespenster.
(5 Gott, 9 GOTT UND KIRCHE, 8 Welt)
Es muß untersucht werden, ob es überhaupt möglich, etwas zu tun,
ohne sein eignes Bestes immer dabei vor Augen zu haben.
(13 EGOISMUS UND ALTRUISMUS, 2 Eigennutz)
Kann es nicht mit den Gelehrten sein wie mit den Gerichten vor
Zeiten, da die jüngsten Schöffen das Henken verrichteten?
(7 GELEHRTER, 5 Gelehrter)
Wenn Leute ihre Träume aufrichtig erzählen wollten, da ließe sich
der Charakter eher daraus erraten als aus dem Gesicht.
(7 Charakter, 21 PSYCHOLOGIE, 2 Traum)
Ich habe bemerkt, daß Personen, in deren Gesichtern ein gewisser
Mangel von Symmetrie war, oft die feinsten Köpfe waren.
(3 Gesicht, 3 Kopf, 23 MENSCHEN, 1 Person)
Lessings Geständnis, daß er für seinen gesunden Verstand fast zuviel
gelesen habe, beweist, wie gesund sein Verstand war.
(22 BÜCHER UND MEDIEN, 36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 6 lesen, 1 Lessing, 6 Verstand)
Wer in sich selbst verliebt ist, hat wenigstens bei seiner Liebe den
Vorteil, dass er nicht viele Nebenbuhler erhalten wird.
(13 EGOISMUS UND ALTRUISMUS, 1 verliebt, in sich selbst)
Briefe über die neueste Literatur: Und ich dank' es dem lieben Gott
tausendmal, daß er mich zum Atheisten hat werden lassen.
(1 Atheist, 3 glauben, 9 GOTT UND KIRCHE)
Die Klugheit eines Menschen läßt sich aus der Sorgfalt ermessen,
womit er das Künftige oder das Ende bedenkt. Respice finem.
(36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 3 klug)
In allen Wissenschaften gibt es durchgängig brauchbare und recht
roulierende Wahrheiten, die die Presse noch nicht gesehen haben.
(6 WISSENSCHAFT, 5 Wissenschaft)
Der Pöbel ruiniert sich durch das Fleisch, das wider den Geist, und
der Gelehrte durch den Geist, dem zu sehr wider den Leib gelüstet.
(1 Fleisch, 3 Geist, 7 GELEHRTER, 5 Gelehrter, 7 GESUNDHEIT, KRANKHEIT, SCHMERZ, 5 LEIB UND SEELE, 1 Pöbel)
Eine goldene Regel: Man muss die Menschen nicht nach ihren Meinungen
beurteilen, sondern nach dem, was diese Meinungen aus ihnen machen.
(15 LOB, TADEL, URTEIL, 23 MENSCHEN, 1 Menschen beurteilen)
Er hatte seine Bibliothek verwachsen, so wie man eine Weste
verwächst. Bibliotheken können überhaupt der Seele zu enge und zu weit
werden.
(1 Bibliothek, 22 BÜCHER UND MEDIEN)
Nimm Dich in acht, daß meine Geduld nicht über deiner Langsamkeit
abläuft. Auf meine Ehre, ich ziehe sie deinetwegen nicht noch einmal
auf.
(2 Geduld, 13 TUGENDEN UND LASTER)
Es gibt keine Synonyma; die Wörter, die wir dafür halten, haben
ihren Erfindern gewiß nicht einerlei, sondern vermutlich Spezies
ausgedrückt.
(18 REDEN UND SCHREIBEN, 1 Synonym)
Die Sanduhren erinnern nicht bloß an die schnelle Flucht der Zeit,
sondern auch zugleich an den Staub, in welchen wir einst verfallen
werden.
(1 Sanduhr, 1 sterben, 7 TOD, 5 ZEIT, 4 Zeit)
Kluge Leute glauben zu machen, man sei, was man nicht ist, ist in
den meisten Fällen schwerer, als wirklich zu werden, was man scheinen
will.
(4 SCHEIN UND SEIN, 1 scheinen, 1 sein)
Der Gedanke hat in dem Ausdruck noch zuviel Spielraum; ich habe mit
dem Stockknopf hingewiesen, wo ich mit der Nadelspitze hätte hinweisen
sollen.
(4 Ausdruck, 10 GEDANKEN, 11 Gedanken, 18 REDEN UND SCHREIBEN)
Nichts macht schneller alt, als der immer vorschwebende Gedanke,
dass man älter wird. Ich verspüre dieses recht an mir; es gehört mit zum
Giftsaugen.
(2 altern, 11 JUGEND UND ALTER)
Jeder Mensch hat auch seine moralische Backside, die er nicht ohne
Not zeigt und die er solange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes
zudeckt.
(10 GUT UND BÖSE, 2 Moral)
Wenn er seinen Verstand gebrauchen sollte, so war es ihm, als wenn
jemand, der beständig seine rechte Hand gebraucht hat, etwas mit der linken
tun soll.
(36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 6 Verstand)
Ich kann freilich nicht sagen ob es besser werden wird, wenn es
anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es
gut werden soll.
(1 Veränderung)
Die größten Dinge in der Welt werden durch andere zuwege gebracht,
die wir nichts achten, kleine Ursachen, die wir übersehen und die sich
endlich häufen.
(1 Dinge, große, 1 Ursachen, kleine, 9 WELT)
Weil doch nun einmal Geld in der Welt dasjenige ist, was macht, daß
ich das Kinn höher trage, freier aufsehe, sicherer auftrete, härter an
andere anlaufe.
(12 BESITZ, 2 Geld)
Der Mensch ist vielleicht halb Geist und halb Materie, so wie der
Polype halb Pflanze und halb Tier ist. Auf der Grenze liegen immer die
seltsamsten Geschöpfe.
(10 Mensch, 23 MENSCHEN)
Es gibt wohl keinen Menschen in der Welt, der nicht wenn er um 1000
Taler willen zum Spitzbuben wird, lieber um das halbe Geld ein ehrlicher
Mann geblieben wäre.
(1 Ehrlichkeit, 13 WAHRHEIT UND LÜGE)
Es hatte die Wirkung, die gemeiniglich gute Bücher haben. Es machte
die Einfältigen einfältiger, die Klugen klüger, und die übrigen Tausende
blieben ungeändert.
(7 Bücher, 22 BÜCHER UND MEDIEN)
Ein guter Ausdruck ist so viel wert als ein guter Gedanke, weil es
fast unmöglich ist, sich gut auszudrücken, ohne das Ausgedrückte von einer
guten Seite zu zeigen.
(4 Ausdruck, 10 GEDANKEN, 11 Gedanken, 18 REDEN UND SCHREIBEN)
Die Vorurteile sind sozureden die Kunsttriebe der Menschen; sie tun
dadurch vieles, das ihnen zu schwer werden würde, bis zum Entschluß
durchzudenken ohne alle Mühe.
(15 LOB, TADEL, URTEIL, 2 Vorurteil)
Erst die natürlichen Betrachtungen gemacht, ehe die subtilen kommen,
und immer vor allen Dingen erst versucht, ob etwas ganz simpel und
natürlich erklärt werden könne.
(1 einfach, 2 erklären, 36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 1 natürlich, 6 WISSENSCHAFT, 5 Wissenschaft)
Was haben Sie hier?
Einen Kompaß, um durch die Welt zu reisen.
Wie, in einem Beutel?
Ja, es sind 50 Louisdor bar und Wechsel auf ein paar Tausend andere.
(12 BESITZ, 2 Geld)
Man ist nur gar zu sehr geneigt zu glauben, wenn man etwas Talent
besitzt, arbeiten müßte einem leicht werden. Greife dich immer an, Mensch,
wenn du etwas Großes tun willst.
(4 Einsatz, voller, 1 Großes tun, 3 Talent, 19 WOLLEN, KÖNNEN, TUN)
Ich glaube kaum, daß es möglich sein wird, zu erweisen, daß wir das
Werk eines höchsten Wesens und nicht vielmehr zum Zeitvertreib von einem
sehr unvollkommenen sind zusammengesetzt worden.
(5 Gott, 9 GOTT UND KIRCHE, 10 Mensch, 23 MENSCHEN, 1 Schöpfung)
Aus den Träumen der Menschen, wenn sie dieselben genau anzeigten,
ließe sich vielleicht vieles auf ihren Charakter schließen. Es gehörte
aber dazu nicht etwa einer, sondern eine ziemliche Menge.
(7 Charakter, 21 PSYCHOLOGIE, 2 Traum)
Man soll öfters dasjenige untersuchen, was von den Menschen meist
vergessen wird, wo sie nicht hinsehen und was so sehr als bekannt
angenommen wird, daß es keiner Untersuchung mehr wert geachtet wird.
(6 WISSENSCHAFT, 5 Wissenschaft)
Die Wälder werden immer kleiner, das Holz nimmt ab, was wollen wir
anfangen? Oh, zu der Zeit, wenn die Wälder aufhören, können wir sicherlich
so lange Bücher brennen, bis wieder neue aufgewachsen sind.
(7 Bücher, 22 BÜCHER UND MEDIEN, 8 NATUR UND UMWELT, 3 Wald)
Bei Ausarbeitungen habe vor Augen: Zutrauen auf dich selbst, edlen
Stolz und den Gedanken, daß andere nicht besser sind als du, die deine
Fehler vermeiden und dafür andere begehen, die du vermieden hast.
(8 FEHLER, 18 REDEN UND SCHREIBEN, 5 schreiben, 1 Selbstvertrauen, 19 WOLLEN, KÖNNEN, TUN)
Man wirft oft den Großen vor, daß sie sehr viel Gutes hätten tun
können, das sie nicht getan haben. Sie könnten antworten: Bedenkt einmal
das Böse, das wir hatten tun können und nicht getan haben.
(2 Böses tun, 10 GUT UND BÖSE, 3 Gutes tun, 23 MENSCHEN, 4 Menschen, große)
Ob ein Mann, der schreibt, gut oder schlecht schreibt, ist gleich
ausgemacht, ob aber einer, der nichts schreibt und stillesitzt, aus
Vernunft oder aus Unwissenheit stillesitzt, kann kein Sterblicher
ausmachen.
(18 REDEN UND SCHREIBEN, 5 schreiben, 1 schweigen)
Man kann sicher bei verschlossenen Augen in das erste beste Buch den
Finger auf eine Zeile legen und sagen, hierüber ließe sich ein Buch
schreiben. Wenn man die Augen auftut, so wird man sich selten
betrogenfühlen.
(7 Bücher, 22 BÜCHER UND MEDIEN)
Die Versart den Gedanken anzumessen ist eine sehr schwere Kunst, und
eine Vernachlässigung derselben ist ein wichtiger Teil des Lächerlichen.
Sie verhalten sich beide zusammen wie im gemeinen Leben Lebensart und
Amt.
(4 Ausdruck, 10 GEDANKEN, 11 Gedanken)
Der Mann zu sein, der so absolut in Deutschland herrschen könnte wie
ich auf meinem Schreibtische, wünsche ich mir nie. Ich würde gewiß nur
Tintenfässer umwerfen und durch Aufräumen die Sachen nur noch mehr
verwirren.
(9 AMT UND POLITIK, 1 herrschen)
Wenn du die Geschichte eines großen Verbrechers liesest, so danke
immer, ehe du ihn verdammst, dem gütigen Himmel, der dich mit deinem
ehrlichen Gesicht nicht an den Anfang einer solchen Reihe von Umständen
gestellt hat.
(10 GUT UND BÖSE, 15 LOB, TADEL, URTEIL, 2 verbrechen)
Die Astronomie ist vielleicht diejenige Wissenschaft, worin das
wenigste durch Zufall entdeckt worden ist, wo der menschliche Verstand in
seiner ganzen Größe erscheint und wo der Mensch am besten lernen kann, wie
klein er ist.
(1 Astronomie, 6 WISSENSCHAFT, 5 Wissenschaft)
Ein physikalischer Versuch, der knallt, ist allemal mehr wert als
ein stiller; man kann also den Himmel nicht genug bitten, daß, wenn er
einen etwas will erfinden lassen, es etwas sein möge, das knallt; es
schallt in die Ewigkeit.
(7 ENTDECKUNG UND ERFINDUNG, 2 Erfindung)
Es ist eine Frage, ob den Wissenschaften und Künsten ein Bestes
möglich sei, über welches unser Verstand nicht gehen kann. Vielleicht ist
dieser Punkt unendlich weit entfernt, ohnerachtet bei jeder Näherung wir
weniger vor uns haben.
(1 Beste, das, 1 Kunst, 6 MUSIK, KUNST, KULTUR, 6 WISSENSCHAFT, 5 Wissenschaft)
Es ist sonderbar, daß nur außerordentliche Menschen die Entdeckungen
machen, die hernach so leicht und simpel scheinen; dieses setzt voraus, daß
die simpelsten, aber wahren Verhältnisse der Dinge zu bemerken sehr tiefe
Kenntnisse nötig sind.
(2 Entdeckung, 7 ENTDECKUNG UND ERFINDUNG, 36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 23 MENSCHEN, 1 Menschen, außerordentliche)
Es ist ein großer Unterschied zwischen etwas noch glauben
und es wieder glauben. Noch glauben, daß der Mond auf die
Pflanzen wirke, verrät Dummheit und Aberglaube, aber es wieder glauben
zeugt von Philosophie und Nachdenken.
(3 glauben, 36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN)
Zur Aufweckung des in jedem Menschen schlafenden Systems ist das
Schreiben vortrefflich, und jeder, der je geschrieben hat, wird gefunden
haben, daß Schreiben immer etwas erweckt, was man vorher nicht deutlich
erkannte, ob es gleich in uns lag.
(1 erwecken, 18 REDEN UND SCHREIBEN, 5 schreiben)
Es ist eine Bemerkung, die ich durch vielfältige Ergahrung bestätigt
gefunden habe, daß unter Gelehrten diejenigen fast allezeit die
verständigsten sind, die nebenher sich mit einer Kunst beschäftigen oder,
wie man im Plattdeutschen sagt, klütern.
(7 GELEHRTER, 5 Gelehrter)
Der Stolz der Menschen ist ein seltsames Ding, es läßt sich nicht
sogleich unterdrücken und guckt, wenn man das Loch A zugestopft hat, ehe
man sich's versieht, zu einem andern Loch B wieder heraus, und hält man da
zu, so steht er hinter dem Loch C usw.
(21 PSYCHOLOGIE, 3 Stolz)
Leute, die sehr viel gelesen haben, machen selten große
Entdeckungen. Ich sage dieses nicht zur Entschuldigung der Faulheit, denn
Erfinden setzt eine weitläufige Selbstbetrachtung der Dinge voraus, man muß
mehr sehen, als sich sagen lassen. Assoziation.
(22 BÜCHER UND MEDIEN, 7 ENTDECKUNG UND ERFINDUNG, 2 erfinden, 6 lesen)
Die hitzigsten Verteidiger einer Wissenschaft, die nicht den
geringsten scheelen Seitenblick auf dieselbe vertragen können, sind
gemeiniglich solche Personen, die es nicht sehr weit in derselbigen
gebracht haben und sich dieses Mangels heimlich bewußt sind.
(7 GELEHRTER, 2 Kritik, 15 LOB, TADEL, URTEIL, 1 Wissenschaftler)
Um uns ein Glück, das uns gleichgültig scheint, recht fühlbar zu
machen, müssen wir immer denken, daß es verloren sei und daß wir es diesen
Augenblick wieder erhielten. Es gehört aber etwas Erfahren in allerlei
Leiden dazu, um diese Versuche glücklich anzustellen.
(13 Glück, 23 GLÜCK UND UNGLÜCK)
Der Tod ist eine unveränderliche Größe, allein der Schmerz ist eine
veränderliche, die unendlich wachsen kann. Dieses ist ein Satz, den die
Verteidiger der Folter zugeben müssen, denn sonst foltern sie vergeblich,
allein in vielen wird der Schmerz ein Größtes und kleiner als der
Tod.
(7 GESUNDHEIT, KRANKHEIT, SCHMERZ, 5 Schmerz, 7 TOD, 3 Tod)
Daß der Mensch grob sündigen kann, daran ist mehr die Beschaffenheit
der äußeren Dinge als seine eigene Schuld; könnte er nicht die Wirkung
gewisser Dinge hindern, andere zerstören, wie könnte er fehlen, wenn alles,
was er gegen die Wesen außer ihm vornähme, denselben zum Vorteil
gereichte?
(10 GUT UND BÖSE, 1 sündigen)
Wenn man die meisten Gelehrten ansieht, nichts verrichten sie an
sich, als daß sie sich die Nägel und Federn schneiden. Ihre Haare lassen
sie sich durch andere in Ordnung legen, ihre Kleidung durch andere machen,
ihre Speise durch andere bereiten dafür, daß sie das Wetter in ihrem Kopfe
beobachten.
(7 GELEHRTER, 5 Gelehrter)
Es ist eine richtige Beobachtung, wenn man sagt, daß Leute, die zu
stark nachahmen, ihre eigene Erfindungskraft schwächen. Diese ist die
Ursache des Verfalls der italienischen Baukunst. Wer nachahmt und die
Gründe der Nachahmung nicht einsieht, fehlt gemeiniglich, sobald ihn die
Hand verläßt, die ihn führte.
(5 NACHAHMEN, 4 nachahmen)
Starke Empfindung, deren sich so viele rühmen, ist nur allzuoft die
Folge eines Verfalls der Verstandeskräfte. Ich bin nicht sehr hartherzig,
allein das Mitleid, das ich in meinen Träumen oft empfinde, ist mit dem bei
wachendem Kopf nicht zu vergleichen, das erstere ist in mir ein nah an
Schmerz grenzendes Vergnügen.
(2 Empfindung, 36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 21 PSYCHOLOGIE, 6 Verstand)
Es gibt keine wichtigere Lebensregel in der Welt als die: Halte
dich, soviel du kannst, zu Leuten, die geschickter sind als du, aber doch
nicht so sehr unterschieden sind, daß du sie nicht begreifst. Das Erheben
wird deinem Ehrgeiz durch Instinkt leichter werden als dem Allzugroßen das
Herablassen aus kalter Entschließung.
(31 LEBEN UND SCHICKSAL, 1 Lebensregel)
Warum die Menschen so wenig behalten können, was sie lesen, ist, daß
sie so wenig selbst denken. Wo ein Mensch, was andere gesagt haben, gut zu
wiederholen weiß, hat er gewöhnlich selbst viel nachgedacht, wenn sein Kopf
anders nicht ein bloßer Schrittzähler ist, und dergleichen sind manche
Köpfe, die des Gedächtnisses wegen Aufsehen machen.
(22 BÜCHER UND MEDIEN, 4 denken, 2 Gedächtnis, schlechtes, 36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 6 lesen)
Bei einem Verbrechen ist das, was die Welt das Verbrechen nennt,
selten das, was die Strafe verdient, sondern da ist es, wo unter der langen
Reihe von Handlungen, womit es sich gleichsam als mit Wurzeln in unser
Leben erstreckt, diejenige ist, die am meisten von unserem Willen
dependierte und die wir am allerleichtesten hätten nicht tun können.
(10 GUT UND BÖSE, 1 Strafe, 2 verbrechen)
Über nichts wird flüchtiger geurteilt als über die Charaktere der
Menschen, und doch sollte man in nichts behutsamer sein. Bei keiner Sache
wartet man weniger das Ganze ab, das doch eigentlich den Charakter
ausmacht, als hier. Ich habe immer gefunden, die sogenannten schlechten
Leute gewinnen, wenn man sie genauer kennen lernt, und die guten
verlieren.
(7 Charakter, 1 Leute, gute, 1 Leute, schlechte, 15 LOB, TADEL, URTEIL, 23 MENSCHEN, 3 urteilen)
Es ist, wie die tägliche Erfahrung lehrt, sehr wenig Anstrengung
nötig, etwas zu sagen, das eine ganz beträchtliche erfordert, es zu
verstehen. Hingegen erfordert es außerodentlich viel Talent, einem
vernünftigen Manne etwas Neues und Wichtiges so leicht vorzutragen, daß er
sich freut, es jetzt zu wissen, und sich schämt, es nicht selbst bemerkt zu
haben.
(2 erklären, 18 REDEN UND SCHREIBEN)
Die Esel haben die traurige Situation, worin sie jetzo in der Welt
leben, vielleicht bloß dem witzigen Einfall eines losen Menschen zu danken.
Dieser ist schuld, daß sie zum verächtlichen Tier geworden sind und es auch
bleiben werden, denn viele Eseltreiber gehen deswegen mit ihren Eleven so
fürchterlich um, weil es Esel, nicht weil es träge und langsame Tiere
sind.
(1 Esel, 4 SCHEIN UND SEIN)
Weiser werden heißt immer mehr und mehr die Fehler kennenlernen,
denen dieses Instrument, womit wir empfinden und urteilen, unterworfen sein
kann. Vorsichtigkeit im Urteilen ist, was heutzutage allen und jedem zu
empfehlen ist. Gewönnen wir alle zehn Jahre nur eine unstreitige
Wahrheit von jedem philosophischen Schriftsteller, so wäre unsere Ernte
immer reich genug.
(36 GLAUBEN, DENKEN, VERSTEHEN, 15 LOB, TADEL, URTEIL, 3 urteilen, 3 weise)
Das Nachahmen ist allezeit, wie mich dünkt, eine sehr kitzlige
Sache, denn entweder zeigt meine Denkungsart nach Norden und mein Original
auch, gut, so kommen wir etwas geschwinder dahin, wo wir allein vielleicht
später hingekommen wären, oder ich nach Osten und das Original nach Nord,
da wird das ganze Ding, das wir zusammen herausbringen, ein
unkardinalisches nordöstliches Mittelding, oder ich zeige nach Süden und
mein Original nach Nord, ja lieber Gott, da stehen wir wohl gar still und
kommen nicht vom Fleck.
(5 NACHAHMEN, 4 nachahmen)
Rousseau nennt mit Recht den Akzent die Seele der Rede. Und Leute
werden von uns oft für dumm angesehen, und wenn wir es untersuchen, so ist
es bloß der einfache Ton in ihren Reden. Weil nun dieses bei den Schriften
wegfällt, so muß der Leser auf den Akzent geführt werden, dadurch daß man
deutlich durch die Wendung anzeigt, wo der Ton hingehört. Und dieses ist
es, was die Rede im gemeinen Leben vom Brief unterscheidet und was auch
eine bloß gedruckte Rede von derjenigen unterscheiden sollte, die man
wirklich hält.
(1 Akzent, 18 REDEN UND SCHREIBEN, 1 Schrift)
Die Speisen haben vermutlich einen sehr großen Einfluß auf den
Zustand der Menschen, wie er jetzo ist, der Wein äußert seinen Einfluß mehr
sichtbar, die Speisen tun es langsamer, aber vielleicht ebenso gewiß. Wer
weiß, ob wir nicht einer gut gekochten Suppe die Luftpumpe und einer
schlechten den Krieg oft zu verdanken haben. Es verdiente dieses eine
genauere Untersuchung. Allein wer weiß, ob nicht der Himmel damit große
Endzwecke erreicht, Untertanen treu erhält, Regierungen ändert und freie
Staaten macht und ob nicht die Speisen das tun, was wir den Einfluß des
Klimas nennen.
(2 NAHRUNG, 1 Speise)
© Thu Dec 8 00:13:43 201, Laurenz Wiskott, http://www.ini.rub.de/PEOPLE/wiskott/