Das Ziel dieser Arbeit war es weniger, eine systematische Theorie zum "Raum in der Popmusik" aufzustellen, als vielmehr wichtige künstlerische, historische und technologische Grundlagen zu diesem Thema zusammenzufassen. Obgleich sie deshalb auf ein globales Ergebnis verzichten muß, werden einige Tendenzen erkennbar:
Die Entwicklung der Popmusik war stets mit der der Aufnahme- und Reproduktionstechnologie verknüpft. Die an der Produktion Beteiligten, wie auch die Konsumenten haben sich meist mehr für die Synthese von Sound interessiert, als ihre Kollegen in anderen Musiksparten, für die der im Studio erarbeitete Klang weit weniger bedeutend war als z.B. Melodie und Harmonie. Was wir heute unter Pop verstehen, ist aus einer Wechselbeziehung von Technologie, Ökonomie und künstlerischen Prozessen entstanden.[48]
Während Techniker versuchten, natürliche Verhältnisse zu reproduzieren bzw. zu imitieren und damit Transparenz des Mediums zu erreichen, entstand der neue Typ des "Technikmusikers", der die Aufnahmetechnologie als Musikinstrument verstand. In Bezug auf räumliche Aufnahmen waren bis ca. 1930 die Bemühungen eher dahingehend, die Limitationen der verfügbaren Technologie auszugleichen. Nachdem hier ein befriedigender Standard erreicht worden war beschränkten sich die Instrumentalisten vorerst wieder darauf, ihre Partien zu spielen, die der Techniker in Arbeitsteilung aufnahm. Während sich nun nur noch wenige akademische Musiker mit "Radiomusik" beschäftigen, beginnt nach 1945 eine neue Generation, die technischen Mittel als Klangbaukasten einzusetzen. Mit de m Ziel der "realistischen Klangwiedergabe" wird die räumliche Aufnahmetechnik weiterentwickelt, der neue Typ des Popproduzenten benutzt sie aber zunehmend für artifizielle Klanggebilde.
Auch die Art der Musikwahrnehmung hat sich mit den technischen Medien, bzw. deren Entwicklung verändert. Aus dem unräumlichen Klangbild um 1900,[49] ist 100 Jahre später eine Ansammlung von multiplen Räumen in einer Aufnahme geworden. Der Zuhörer hat gelernt, sich darin zurechtzufinden, so sehr, daß er beim Hören von Aufnahmen mit gut umgesetzter Abbildungsästhetik leicht den Eindruck haben wird, irgendetwas fehle. Ein Instrument, daß nicht seinen eigenen, spezifischen Raum erhalten hat, klingt aufgrund unserer Hörerfahrung inzwischen flach und langweilig.
Eine feststehende Ästhetik der Verwendung von Raum gibt es im Pop, anders als im auf Naturnachahmung bedachten puristischen HiFi-Bereich, nicht. Räumliche Gestaltung ist einer der Faktoren, die den Sound einer bestimmten Epoche wiedererkennbar machen. Wer regelmäßig unterschiedliche Popmusik hört, wird kaum Probleme haben, unbekannte Stücke aufgrund ihres Klanges einer bestimmten Zeit, einem bestimmten Stil zuzuordnen, seltener aber wissen, woran er dies konkret erkennt. Ohne stur analytisches Hören propagieren zu wollen, hoffe ich, mit dieser Arbeit dem oft "überhörten" Raum zu etwas größerer Aufmerksamkeit verholfen und damit den Zugang zu einer weiteren Ebene des Musikhörens eröffnet zu haben.
zurück weiter Inhaltsverzeichnis Kontakt
Raum hören Hörphysiologische Grundlagen Technikgeschichte Raumsimulation Kreative Techniken Fazit Bibliografie