Kreative Verwendung der Aufnahmetechniken in der Popmusik

Abschied vom Ideal der Abbildung

Während gerade die frühe Ideologie der Schallaufnahme und -übertragung dem Ideal der Abbildung folgte[28], war in der Praxis die örtliche oder zeitliche Verlagerung eines Schallereignisses nicht ohne Nebeneffekte zu realisieren. Ohne die Utopie aufzugeben suchten und fanden Praktiker Umwege, um mit der vorhandenen Technologie einen "natürlichen" Klang zu realisieren und opferten dazu gern einige Grundsätze. Spätestens das Mischen der Signale zweier Aufnahmetrichter oder Mikrofone war (elektro-) akustisch ein derart frappierender Eingriff, daß von einer Abbildung nicht mehr die Rede sein konnte. Die Grenzen zwischen dem technisch notwendigen Kompromiß und der bewußt am Medium arbeitenden Gestaltung waren fließend. Als Beispiel möge, neben den speziellen Radioarrangements, der "phonographische" oder "radiophonische" trokkene Klang dienen, welcher, aus technischer Notwendigkeit entstanden, in den 20er Jahren zur Mode wurde.

Produzenten

In der Popgeschichte hat der Beruf des Produzenten praktisch ständig an Bedeutung gewonnen. Anfangs waren seine Aufgaben organisatorischer Art, ähnlich dem "Executive Producer" der Filmbranche. Er suchte Titel, Interpreten, Begleitmusiker und ggf. ein externes, nicht zum Label gehöriges, Aufnahmestudio aus und koordinierte die Produktion. Er handelte die Bezahlung aus, war Betreuer der Künstler und ihr Ansprechpartner in der Plattenfirma. Zunehmend verlagerte sich seine Tätigkeit aber in den musikalischen Bereich.[29] Idealerweise konnte er hier seine Erfahrung einbringen, um eine bessere Einspielung zu erreichen, es kam aber andererseits auch häufig vor, daß sich musikalisch selbstbewußte Musiker vom Produzenten gegängelt fühlten. Interessant für die klangliche Entwicklung der Popmusik sind die Fälle, in denen eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen Musikern und Produzent entstand, sowie die, in denen der Produzent eigentlicher Initiator, oft auch Autor der Musik war. Selbst Popstar wurde in den USA Anfang der 60er Jahre Phil Spector. Er entwickelte als unabhängiger, d.h. nicht bei einer Plattenfirma angestellter, Produzent ein orchestral anmutendes Klangbild, welches als "Wall Of Sound" bekannt wurde. Dabei nahm er die Band nicht als Gesamtklangkörper auf, sondern trennte die Intrumente teils räumlich, teils im Mehrspurverfahren, um sie schließlich am Mischpult zusammenzusetzen. Ähnliche Bekanntheit, wenn auch sicher keinen Popstar-Status, erlangte in Großbritannien George Martin als Produzent der Beatles. Er setzte das Studio als Labor und Musikinstrument ein und entwickelte mit der Gruppe Techniken, die weit über Reproduktion hinausgingen.

Die Grenze zwischen Komposition und Aufnahme wurde durchlässiger. Zunehmend entwickelten Produzenten einen persönlichen Stil. Mit der Disco-Welle der 70er Jahre setzte sich auch der Typus des "Musikarchitekten" durch, der sich nicht mehr als Dienstleister verstand, sondern im Studio seine eigenen musikalischen Konzepte umsetzte.

Multiple Räume

Die Abbildung eines zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort stattfindenden musikalischen Ereignisses wurde zugunsten einer Produktionsweise aufgegeben, welche nicht den Gesamtklang in einen für die Liveaufführung typischen Raum stellen wollte, sondern jedem einzelnen Instrument einen passenden Raum zuordnete. Mittels Nahabnahme wurden einzelne Instrumente "nach vorn" geholt, entfernte Mikrofone in einem großen Raum ermöglichten den akustischen Eindruck von Distanz oder Weite. In verschiedenen Räumen mit unterschiedlichem Klang spielende Musiker spielten, akustisch nur durch Kopfhörer verbunden, zusammen Stücke ein, ihre Parts wurden erst im Mischpult zusammengesetzt, künstlicher Hall hinzugefügt. So entstanden Aufnahmen mit einem im natürlichen Raum nicht möglichen, aber trotzdem oder sogar gerade deshalb gewünschten Klangbild. Durch das Mehrspur- bzw. Playbackverfahren wird die Verwendung multipler Räume zur Regel. Auch wechselne Räumlichkeit einzelner Instrumente ist mit ihm problemlos zu erreichen, da die Einspielung nicht mehr kontinuierlich erfolgen muß. So kann z.B. ein Sänger jede seiner Phrasen einzeln über ein Playback aufnehmen und für einen intimen Strophenteil andere Einstellungen verwenden als für den "Stadionchorus".

Ebenso wie der musikalische Stil variierte auch die Raumästhetik, so daß sich kaum eine zeit- und stilübergreifende Regel erkennen läßt. Wie Komposition, Arrangement, Instrumenten- und Klangauswahl wurde auch der Charakter der verwendeten Räume zum typischen Merkmal einer Zeit, eines Genres, oft sogar einer einzelnen Band oder eines Produzenten.[30] Auch unbeabsichtigt prägten die Eigenschaften der verfügbaren Geräte einen spezifischen Sound, erst seit den 80er Jahren ist die Grundausstattung der großen Studios weitgehend standardisiert.[31]

So waren die frühen Stereomischpulte auf Hauptmikrofonverfahren mit einem Mikrofon je Seite eingerichtet, nicht für die in der Popmusik beliebten Polymikrofonverfahren. Um einen Richtungseinruck zu erzeugen, konnte man jedes Mikrofon auf die linke, rechte oder mittlere Seite schalten, Zwischenstellungen waren nicht möglich. So entstanden Pop-Aufnahmen mit extremen Stereobild.[32] Da aber die Wiedergabegeräte zur Zeit der Veröffentlichung ohnehin selten stereofon waren, war das Stereobild Nebensache. Mit dem stufenlosen Panoramaregler setzte sich eine Mischtechnik durch, die Instrumente differenziert im Stereobild verteilte.

Oft sollten Instrumente "größer" klingen, als sie es im natürlichen Raum waren. Zum Beispiel wurden Pianos gern auf folgende Weise stereo aufgenommen:
Ein Mikrofon wurde über den Diskant, eines über den Baßsaiten plaziert, eines wurde auf den linken, eines auf den rechten Kanal gelegt. Dies führte dazu, daß das Instrument den gesamten Raum zwischen den Boxen ausfüllte, wenn diese z.B. fünf Meter voneinander entfernt waren, schien auch das Piano fünf Meter breit zu sein. Dieses Vorgehen rückte, verbunden mit der Mikrofonbnahme aus der Nähe auch den Zuhörer in eine andere Position. Während er in einem Konzertsaal das Piano als entfernte, punktförmige Schallquelle wahrgenommen hätte, befand er sich nun in der Mitte des Instruments. Distanz zur Musik zu bewahren wurde schwieriger. Aufnahmen von Drumkits folgen seit Ende der 60er Jahre bis heute fast ausnahmslos dieser Ästhetik. Die einzelnen Instrumente des Kits werden so verteilt, daß der Hörer den Eindruck hat, sich unmittelbar vor dem Kit zu befinden.

Mit dem E-Baß wurde es erstmals gängige Praxis, ein Instrument direkt, ohne den "Umweg" über schwingende Luft, aufzunehmen.[33] Das Vorgehen nahm dem Baßklang den Raum, was aber durchaus als Vorteil empfunden wurde. Er klang nun näher, präziser und kräftiger, "machte mehr Druck".

Homestudios

Ab Mitte der 60er Jahre gab es einen Trend weg von der Single zu aufwendigen LP-Produktionen. Die Anzahl der Aufnahmespuren wurde erweitert. In den 70er Jahren setzt sich die Mehrspuraufnahme endgültig durch, Standard wird das 24-Spur Zweizollband, es bleibt bis heute das analoge[34] Aufnahme- und Austauschformat. Auch in Deutschland werden im Zuge des "Krautrock" unabhängig von Plattenfirmen und Rundfunkanstalten arbeitende Studios gegründet. So vertreten Produzenten wie Konrad ("Conny") Planck und Dieter Dierks eine Klangästhetik, mit der sie sich bewußt von verbeamteten Tonmeistern der Rundfunkschule abheben wollen. Besonders beim Einsatz elektronischer Instrumente verschwimmt die Grenze zwischen Instrument und Aufnahmegerät immer mehr.[35] Selbst einzelne Bands wie Can gründen ihre eigenen Studios, um von vornherein den Klang als musikalischen Parameter verwenden zu können. Diesen Trend nutzen Firmen wie Teac/Tascam, indem sie einfache Mehrspurrecorder und Studiomischpulte auf den Markt bringen, die nur noch einen Bruchteil der etablierten Geräte kosten. Eine unabhängige Studioszene entsteht, in der Bands zu vergleichsweise geringen Kosten ihre Musik produzieren können.

Mir scheint in diesem Zusammenhang eine Wechselwirkung zwischen musikalischen und technologischen Entwicklungen vorzuliegen. Während in der ersten Hälfte der 70er Jahre immer mehr bombastisch-orchestral orientierte oder auf Spieltechnik angelegte Musik mit zunehmendem Aufwand produziert wurde,[36] ermöglichte es die Punk-Ästhetik, klanglich wieder mit einfacheren Mitteln zu arbeiten.[37] Der unter dem Sammelbegriff "New Wave" auf den Punk folgende Trend war musikalisch alles andere als einheitlich, von der ererbten Tendenz zur Einfachheit einmal abgesehen. Ihm eigen waren aber die Vertriebsstrukturen durch unabhängige Klein-, Kleinst- und Cassettenlabels, spezielle Plattenläden und -versender. Produziert wurde oft im eigenen Proberaum, Wohnzimmer oder einem der neu entstandenen Billigstudios. Die Räumlichkeit der Aufnahmen war dabei meist durch das verwendete Aufahmeequipment und eierkartongepflasterte kleine Aufnahmeräume beschränkt. Wie schon in den Anfangszeiten der Schallplatte und des Rundfunks wurde der raumarme, "trockene" Klang zum Ideal oder sogar zum Beweis der Authentizität.

Sampling und Drumcomputer

Zweiter Motor für den Trend zur unabhängigen Produktion war die aus einer anderen Jugendkultur heraus entstandene Discomusik, sie hatte allerdings ihren Ursprung in einer Zeit, als die Produktionsmittel erst für eine kleine Minderheit erschwinglich waren. Erst mit dem Rap entstanden Produktionsmethoden, welche es Neueinsteigern ohne Plattendeal wirtschaftlich ermöglichten, ihre Musik aufzunehmen. Eine besondere Rolle spielten hier Sampling und Drumcomputer. Beide Techniken waren ursprünglich aus produktionsökonomischen Gründen entwickelt worden, wobei sich ihre Anwendung bald bis zum gewollten Mißbrauch[38] verselbstständigte.

Der Urahn des Samplers war das Mellotron, ein Instrument, dessen Innenleben aus speziellen Tonbändgeräten bestand, die über eine Klaviertastatur gestartet wurden. Zu jeder Taste gehörte ein Tonband, auf dem ein Klang aufgenommen war. Das seit 1964 in Serie produzierte Gerät, sollte vor allem Orchesterstimmen wie Streicher und Bläser ersetzen,[39] es waren aber auch Schlagzeugbänder verfügbar, die aber aufgrund von Timingproblemen des elektromechanischen Instruments kaum zu verwenden waren. Obwohl bereits in den Tonbandarbeiten der Musique concrète auch einzelne Instrumente im Raum aufgenommen und dann collagiert wurden, werden mit dem Mellotron erstmals Klänge mit dem zugehörigen Raum "spielbar". Der Sampler ist die digitale Umsetzung desselben Prinzips. Da er als Speichermedium Computerchips verwendet fallen einerseits die mechanischen Probleme (und Spielmöglichkeiten) weg, andereseits profitiert seine Technik von der Popularisierung der Computertechnologie.

Auch der Ursprung der Drumcomputer lag in der Emulation eines menschlichen Musikers. Anfang der 70er Jahre beginnt man Geräte mit synthetischer Klangerzeugung zu bauen. Sie sind ein Konglomerat aus mehreren Ton- und Rauschgeneratoren, kombiniert mit einer Steuerung, die mehrere vorgegebene Rhythmen ablaufen läßt. Obwohl ihr Klang nur andeutungsweise einem Schlagzeug ähnelt, werden sie gern von kleinen Livebands, Alleinunterhaltern und in Heimorgeln in der Funktion eines Schlagzeugs verwendet. Zum "unnatürlichen" Klang trägt auch der Umstand bei, daß die synthetischen Klänge keinen Raumanteil besitzen, eine seperate Verhallung jedes emulierten Instrumentes ist angesichts der Kosten für die Zielgruppe der Geräte nicht praktikabel.[40] Drumcomputer (zu dieser Zeit eher "Rhythmusmaschinen" genannt) werden als billiger Ersatz, nicht als eigensttändiges Instrument verstanden, wer es sich leisten kann, engagiert einen Schlagzeuger. 1979 bringt die japanische Firma Roland mit dem CompuRhythm CR-78 einen luxoriösen Drumcomputer auf den Markt, der neben 64 vorgegebenen Rhythmen erstmals auch die Möglichkeit bietet, vier eintaktige Pattern selbst einzugeben. Weitere programmierbare Drumcomputer anderer Hersteller folgen. 1980 ersetzt Roger Linn in seiner Linndrum LM-1 die synthetische "analoge" Tonerzeugung durch Samples. Der Drumcomputer wird mit einem Schlag zum modischen Produktionsmittel und Geburtshelfer des Sampling in der Popmusik. Daß es gerade der Drumcomputer war, der Sampling populär machte, hatte sowohl musikalische als auch ökonomische Gründe. Musikalisch waren, gerade für die aus der Discomusik abgeleiteten Stile, einfache, aber mit äußerster Präzision durchgehaltene Rhythmen gefordert.[41] Eine befriedigende Schlagzeugaufnahme war studiotechnisch äußerst anspruchsvoll, gerade hier brachte die Maschine eine große Vereinfachung. Instrumententechnisch war es angesichts der äußerst teuren Speicherbausteine von Vorteil, sich auf perkussive (und dadurch kurze) Sounds zu beschränken, die erste Linndrum verzichtete folgerichtig auch auf Beckensounds.[42] Kreatives Sampling war übrigens vorerst nur beschränkt möglich, um eigene Klänge zu verwenden, mußte man sie auf Band aufnehmen und vom Hersteller auf Speicherbausteine (EPROMs) brennen lassen. Die Mehrzahl der Anwender beließen es bei der mitgelieferten Konfektion. Das Gerät war für sie einfach ein immer verfügbarer Schlagzeuger mit gutem Sound.

Wie in jedem Instrumentensample war auch in den Drumsounds der Raum bereits enthalten. Daß der Hall mit dem Sample zuende war, statt natürlich auszuklingen, störte kaum -im Gegenteil: Bereits 1981 verwendete Phil Collins in In The Air Tonight[43] die Technik des "Gated Reverb", in der die einzelnen Trommeln mit dem -ansich langen- Hall eines großen Raumes belegt sind. Dieser ist laut beigemischt, wird aber kurz nach seinem Beginn plötzlich abgeschnitten. Dadurch entstand der Effekt eines "groß" klingenden Schlagzeugs, das sich trotzdem nicht in der Tiefe des Raumes verlor, nie verwaschen wirkte. Bis in die 90er Jahre war dies der bevorzugte Schlagzeugsound, sowohl in Drumcomputern, als auch bei der Aufnahme des akustischen Schlagzeugs. Es war sogar üblich, live eingespielte Schlagzeugspuren nur dazu zu verwenden, einen Drumcomputer anzusteuern, weil dieser den letztlich gewünschten Sound lieferte. Durch die Mehrspuraufnahme war das einzelne Instrument isoliert worden, mit dem Drumcomputer wird es der einzelne Beat. Während sich bei einer akustischen Trommel ein Doppelschlag (Flam) so entwickelt, daß der zweite davon eine schwingende Trommel trifft und sich darüberhinaus im Raum mit dem ersten Schlag vermischte, stoppt der zweite Schlag im Drumcomputer das Ausklingen des ersten und triggert den gleichen Klang -samt Raum- neu. Dies begünstigt eine Spielweise, die einen Rhythmus weniger als fließend, sondern als Folge von Einzelereignissen auffasst. Das Spielen als Körpertechnik verliert durch das Programmieren an Bedeutung. Nicht- Schlagzeuger prägen mit Hilfe des Drumcomputers einen neuen rhythmischen Trend. Die technischen Feinheiten eines menschlichen Drummers blieben schwer zu programmieren, andererseits wurden Beats realisierbar, die dieser nur mittels zusätzlicher Extremitäten hätte spielen können. Erst mit dem "New School"-Rap bzw. HipHop wird dies aufgebrochen. Hier bilden nicht mehr einzelne Schläge, sondern komplett gesamplete Takte als Loops die Grundlage des Rhythmus. Bevorzugt werden Breakbeats mit starkem Livecharakter, so daß man meiner Ansicht nach durchaus von einer regelrechten Gegenbewegung zur Maschinenästhetik sprechen kann.

Raumästhetik seit den 80ern

Die verbreitetste seit den 80er Jahren für Popmusik angewandte Aufnahmetechnik ist es, die Instrumente mit möglichst geringem Raumanteil aufzunehmen, um sie dann erst im Mix mit künstlichem Hall zu versehen. Typisch war anfangs eine massive, seit den 90er Jahren etwas zurückgenommene, immer aber sehr differenzierte Verhallung. Die technologischen Voraussetzungen schienen 1980 gegeben. Digitale 48-Spur-Recorder ermöglichten eine isolierte Aufnahme und Bearbeitung jedes einzelnen Instrumentes, jeder musikalischen Komponente. Die Klangqualität der digitalen Hallgeräte wurde von vielen Produzenten und Technikern als ausreichend empfunden, um auf Räume mit ausgeprägter Eigenakustik verzichten zu können. Auch ohne die Verwendung elektronischer Musikinstrumente wurde die Musik im Mix synthetisiert. Räume wurden dabei oft ausschließlich nach klanglichen Gesichtspunkten ausgewählt bzw. konstruiert. Typischerweise fand die Musik jetzt in mindestens 3 Räumen (oft bedeutend mehr) gleichzeitig statt, von denen sich einige, wie der obligate Gated Reverb, nicht an physikalisch-akustische Modelle anlehnten. Man experimentierte mit dem Hallgerät als Instrument.[44]

Beispiele einzelner Techniken

Ein (nicht nur) in der Schlagzeugaufnahme übliches Verfahren ist es, das Instrument zu komprimieren, d.h. in der Dynamik einzuschränken. Dies war ursprünglich nötig gewesen, um das Instrument verzerrungsfrei aufzunehmen bzw. übertragen zu können, Kompression war aber auch wegen des resultierenden "druckvollen" Sounds beliebt geblieben , als sie aufnahmetechnisch nicht mehr notwendig war. Obwohl gerade mit der digitalen Aufnahme eine Technologie verfügbar wurde, die eine starke Erweiterung des Dynamikbereiches ermöglichte, wurde dieser in der Popmusik kaum ausgenutzt.[45] Kompression läßt die Schallquelle näher an den Hörer heranrücken, der Druck beeindruckt. Man beginnt sogar, den Raumanteil getrennt zu komprimieren, um auch hier ein kompaktes Klangbild zu erreichen. Der Raumklang wird als eigenständige Schallquelle behan delt, losgelöst vom Bezug zum Musikinstrument selbst. Gesang und andere Leadstimmen werden oft folgendermaßen bearbeitet: Während der Sänger bzw. Instrumentalist klanglich präsent und nah ist, erzeugt ein lauter langer Hall den Eindruck, daß sich der Sänger in einem großen Raum befindet. Dieser Hall wird aber ein wenig verzögert, wodurch er zeitlich vom Originalsignal getrennt wird. Der Sänger ist für einen Sekundenbruchteil "trocken" und damit "nah" zu hören, bevor der Raum einsetzt. Durch diesen Effekt befindet sich der Klang hörphysiologisch unmittelbar am Ohr des Zuhörers, aber gleichzeitig weit im Raum. Akustische Gegebenheiten, wie das Hören des Direktsignals vor frühen Reflektionen und Nachhall, werden hier maßgeschneidert, wobei die Verhältnisse im natürlichen Raum keine Grenze mehr bilden. Echos laufen synchron zum Beat, manchmal als deutlich hörbare rhythmische Komponente, manchmal als subtile Addition. Extrem höhenreiche Halleffekte werden verwendet, sie überspitzen selbst die Verhältnisse in einem sehr reflektiven gekachelten Raum.[46] Intensitäts- und Laufzeitstereophonie werden mittels Panoramaregler und kurzer Verzögerung eines Kanals auf "unmögliche, aber wohlklingende" Weise kombiniert. Mit phasengedrehtem gekreuztem Mischen der Stereokanäle in den jeweils anderen wird "Breite" erzeugt. Dies sind nur einige Beispiele für Raumdesign, das nun zum Hit gehört wie Komposition und Text und entsprechend wiedererkennbar sein muß.

In den Anfangstagen der technisch verbreiteten Popmusik bekam die Differenzierung des Arrangements Vorrang vor klassischen Parametern wie Melodie und Harmonie, die oft sehr standardisiert waren. Nun wird vor allem der Sound im Sinne des akustischen Klangbildes zum Träger des Songs. Die Idee einer Reproduktion oder zumindest Rekonstruktion natürlicher Akustik hat ihre Bedeutung in der Popmusikproduktion endgültig verloren.[47]

 

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