Vor allem aus diesen wirtschaftlichen Erwägungen heraus
wurden elektromechanische Hallgeräte entwickelt. Dieses Prinzip wurde in
drei Abwandlungen
umgesetzt: Die seit Ende der 50er Jahre gebaute Hallplatte, ein Patent der Firma
EMT, bestand aus einer großen Stahlplatte, welche in einem Rahmenelastisch
aufgehängt ist. Diese wird, ähnlich einer Lautsprechermembran, elektromagnetisch
in Schwingung versetzt. Während das Nachschwingen nach einem Impuls bei
einem Lautsprecher unerwünscht ist und man deshalb meist leichte Membranen
mit starken Antrieb verwendet, macht man sich hier die Trägheit der schweren
Metallplatte zunutze. Mittels mehrerer Tonabnehmer werden die mechanischen Schwingungen
der Platte wieder in elektrische umgeformt und können als Hallsignal dem
Klang hinzugemischt werden. Die Nachhallzeit läßt sich durch mehr
oder weniger starke mechanische Bedämpfung regeln. Wie zu erwarten unterscheidet
sich der mechanisch erzeugte Hall klanglich stark von seinem natürlichen
Vorbild, er konnte aber offensichtlich dessen Funktion einnehmen. Bis weit in
die 70er Jahre hinein gehörte dieses Hallgerät zur Grundausstattung
eines jeden Tonstudios. Auch in Konkurrenz zu Hallräumen wurde der eigenständige,
etwas metallische Plattenklang oft bevorzugt. Besonders perkussive Instrumente
und Solostimmen profitierten von ihrem Charakter. Daß auch nach Verfügbarkeit
realistischerer Raumsimulationen jedes moderne Hallgerät ein "Plate"-Programm
besitzt, zeigt, wie "Sound" oft höher bewertet wird als Realismus.
Weiterentwickelt wurde die Hallplatte in der sog. Goldfolie (offizielle Bezeichnung:
EMT 240). Die metergroße, dicke Stahlplatte wird hier durch eine dünne,
kleine goldene Folie ersetzt, die Technologie miniaturisiert. Sie wird nach
1970 zum Standard für Vokalaufnahmen. Um ein Vielfaches billiger und damit
weit verbreitet ist der Federhall (auch Hallspirale genannt). Statt riesigen
Stahlplatten oder goldenen Folien wird hier eine Metallfeder in Schwingung versetzt.
Federhall benutzen vor allem Musiker. Eingebaut in Gitarren- und Gesangsverstärker,
E-Orgeln etc. war und ist dieser selbstverständlicher Teil ihres Livesounds.[22]
In der Praxis nahm man größtenteils vom naheliegenden Ansatz Abstand, die physikalische Akustik eines Raumes nachzubilden. Aufgrund der beschränkten Rechenleistung, aber auch aus geschmacklichen Erwägungen, folgte man größtenteils einem Modell, das den Raumeindruck mit einigen kurzen Erstreflektionen vermittelt, an welche sich eine möglichst "weiche", d.h. diffuse Hallfahne anschließt. Die Algorithmen werden nicht am natürlichen Vorbild, sondern nach ihrem subjektiven "Sound" optimiert. Die Hallgeräte des Herstellers Lexicon, seit fast 20 Jahren eine Art Industriestandard in den Studios, sind gerade dafür beliebt, daß sie für viele Anwendungen "besser" klingen als ein natürlicher Raum. Da kaum eine Platte bzw. CD ohne deren Anwendung gemischt wird, könnte man folgern, daß sich Popmusik in anderen Räumen abspielt, als der Rest der Welt. Im Zuge der rechnergestützten Audiobearbeitung[26] findet in letzter Zeit verstärkt auch eine andere Methode der Raumsimulation Anwendung: Ein definierter -sehr kurzer- Schallimpuls wird in einem Raum erzeugt, das klangliche Ergebnis mit einem Mikrofon aufgenommen. Da auch digitalisierte Klänge eine Folge von Impulsen mit einem bestimmten Zahlenwert für die Lautstärke darstellen, kann zu jedem dieser Impulse ein passend verstärktes oder abgeschwächtes Ergebnis errechnet werden. Die Technik wird bisher aber eher im Sounddesign angewandt, als in der Musikproduktion, da sie für diese einige Nachteile aufweist: so ist aufgrund der Vielzahl der nötigen Rechenoperationen eine Echtzeitanwendung bisher nicht möglich, der Raum wird in der Praxis langsam in eine Audiodatei "eingerechnet". Das Verfahren ermöglicht außerdem keinerlei Veränderung des einmal gemessenen Raumklangs, dieser wurde ja nur aufgezeichnet, nicht analysiert. So werden einige wichtige Anforderungen der "kreativen" Produktionsweise nicht erfüllt: der intuitive, sofort hörbare, Zugriff auf die Klangparameter, die Möglichkeit den Raum zu "spielen". Um andererseits das Ideal eines naturidentischen Konzertsaals zu erfüllen, müßte, da sich ja nicht alle Instrumente an einem Punkt befinden, für jede Position im Raum eine Messung erfolgen, ein Profil zur Verfügung stehen. Weiterhin kommen alle Probleme zum Tragen, die auch bei der Liveaufnahme auftreten, sie werden lediglich zeitlich von der Aufnahme zum Abmischen verlagert.
Die Größe und Beschaffenheit eines Raumes kann ein Hörer vor allem anhand der diffusen "Hallfahne" nachvollziehen. Richtung und Entfernung einer Schallquelle erschließen sich dagegen eher aus Lautstärke- und Klangunterschieden, sowie sehr kurzen Verzögerungen zwischen den Ohren. Die einfachste Art, eine Schallquelle im Stereobild zu positionieren ist, ihre Lautstärke ungleichmäßig auf die Stereokanäle zu verteilen. Jedes Stereomischpult verfügt dazu über Panoramaregler (meist Pan abgekürzt). Steht der Regler links, wird das Signal nur auf dem linken Kanal ausgegeben, steht er in der Mitte, werden beide Kanäle gleich stark beschickt usw. . Je nach dem Lautstärkeverhältnis der beiden Kanäle entstehen an den entsprechenden Stellen zwischen den Lautsprechern sog. Phantomschallquellen, der Klang scheint nicht mehr den Lautsprechern, sondern dem Feld zwischen ihnen zugeordnet. Diese Technik kann man als ideale Intensitätsstereophonie verstehen, da hier jede Zeitverzögerung wegfällt.
Weitaus plastischer wird der Richtungseindruck, wenn man das Instrument auf einem der Kanäle um wenige Millisekunden (ms) verzögert. Dieses Vorgehen hat sein Vorbild in der Laufzeitstereophonie und ist mittels digitaler Verzögerungsgeräte problemlos zu realisieren.
Die Wechselwirkungen zwischen den für Richtungs- und Entfernungswahrnehmung verantwortlichen Parametern waren Ende der 80er Jahre auf physikalischer und psychoakustischer Ebene so weit erforscht, daß die Idee umgesetzt wurde, sie im Rechner zu modellieren. Mit dem Anspruch, auch bei Stereowiedergabe eine Tonquelle beliebig im dreidimensionalen Raum plazieren zu können, wurden Systeme wie "Qsound" der gleichnamigen Firma oder "RSS" der Musikinstrumentenfirma Roland auf den Markt gebracht. In der Musikproduktion setzten sie sich kaum durch. Ihre Möglichkeiten gingen nur wenig über das hinaus, was ein erfahrener Toningenieur mit seinem konventionellen Equipment erreichen konnte, ihr fünf- bis sechsstelliger Preis aber weit darüber, was ein durchschnittliches Musikstudio für diesen Luxus bezahlen wollte. Inzwischen sind einige 3D-Verfahren als Software-Erweiterungen zu digitalen Audio Workstations verfügbar, sie werden aber hauptsächlich für Special Effects verwendet. Da Popproduzenten üblicherweise weniger Wert auf naturgetreue räumliche Abbildung legen, als auf einen subjektiv guten Sound und Puristen ohnehin den Einsatz von Raumsimulation ablehnen, bleibt eine naturgetreue dreidimensionale Simulation nur ein Spezialfall.
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