WAZ Bochum, 24.10.2004
Handpuppen quälen Woyzeck
Ein ambitioniertes Unterfangen: Derzeit steht im "Theater der Gezeiten" am Nordring Büchners Woyzeck-Fragment als Ein-Personen-Stück auf dem Spielplan. Am Freitag war Premiere. Ausverkauft!
Woyzeck - das ist die Tragödie vom Ärmsten der Armen, dem alles genommen wird, er ersticht seine untreue Geliebte und geht ins Wasser. Zwei junge Bochumer Theatermacher zeigen den Woyzeck nun, wie sie ihn sehen. Die Regieidee von Philipp Jüttner ist es, das Bühnengeschehen ganz auf den Titelhelden zu reduzieren. Der Darsteller Kim Stapelfeldt spielt also den Woyzeck und all die anderen Figuren: Marie, den Doktor, den Hauptmann und den Tambourmajor.
Diesem Spiel genügt ein leerer schwarzer Bühnenraum. Drei Handpuppen hängen von der Decke. Es gibt eine Versenkung, darin wohnt Marie. Sie wird mit dem Torso einer nackten Schaufensterpuppe dargestellt. Zwei klassische Handpuppen geben den Hauptmann und den Doktor. Bei letzterem verdingt sich der einfache Soldat Woyzeck als Versuchsperson, um Marie und das gemeinsame uneheliche Kind zu unterstützen. Für den Tambourmajor, mit dem Marie Woyzeck betrügt, haben Jüttner und Stapelfeldt eine Hundepuppe gewählt.
Mit diesem Inszenierungsansatz will Jüttner die anderen Figuren als Stellvertreter der inneren Welt Woyzecks deuten. Das Spiel zeigt allerdings eher Stapelfeldt, der die Figuren mit jeweils verstellter Stimme und zusätzlich zum Puppenspiel auch mit eigener Mimik spielt. Sobald er in seine Gegenüber schlüpft, ist Woyzeck nicht mehr da. So bleibt es letztendlich doch ein äußeres Geschehen und nicht ein Schauspiel der Psyche Woyzecks. Es gibt eher atmosphärische Momente, in denen man diese Idee spüren kann.
Alles Sozialkritische des Woyzeck-Stoffs auszublenden und die innere Befindlichkeit zu extrahieren, scheint eine Tendenz des sehr jungen Theaters zu sein. Somit ist auch anzuerkennen, dass Hausherr Boudgoust immer wieder neuen Experimenten den Vorhang seiner Bühne öffnet. ang