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Vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Chefanklägerin des Internationalen Tribunals für das ehemalige Jugoslawien, Carla del Ponte, am 2. Juni darauf hingewiesen, dass das Tribunal keine Ermittlungen gegen die NATO aufnehmen wird. Darauf hat heute der NATO-Generalsekretär Robertson in seiner Kritik am Amnesty-Bericht über den NATO-Einsatz im Kosovo verwiesen. Erstaunlich ist weniger das von del Ponte mitgeteilte Ergebnis, als die Begründung. Danach habe es Fehler der NATO gegeben, aber keine rechtswidrigen NATO-Angriffe. Der pauschale Hinweis auf die NATO-Angriffe perpetuiert den Eindruck, die NATO habe für die Einhaltung der durch das humanitäre Völkerrecht gebotenen Pflichten gesorgt, obwohl inzwischen bekannt ist, dass die Entscheidungen über Zielauswahl und Angriff bei den Verantwortlichen der jeweiligen, den Angriff durchführenden einzelnen NATO-Staaten lag. Die für eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Angriffs notwendigen Angaben über Flugzeugtyp, Angriffshöhe etc. waren bisher nicht öffentlich verfügbar und man wird gespannt sein müssen, ob diese Informationen von den relevanten NATO-Staaten an das Tribunal tatsächlich weitergegegeben worden sind und in welcher Weise diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Besondere Aufmerksamkeit muss man der Feststellung entgegenbringen, dass die NATO keine sog. „ unlawful military targets" angegriffen hat. Der Charakter einzelner, gezielt von einzelnen NATO-Staaten in Serbien zerstörter, Objekte war weder im Bündnis einheitlich beurteil worden, noch hatte das geltende humanitäre Völkerrecht solche Objekte als legitime Angriffsziele anerkannt. Die Erklärung von del Ponte deutet damit auch an, dass die Anklagebehörde bei der Beurteilung der NATO-Angriffe von einem eher zurückhaltenden Verständnis des humanitären Völkerrechts ausgeht: Eine Haltung, die sich sehr von ihrer bisherigen progressiven Ermittlungspraxis in anderen Fällen unterscheidet.
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