Liebe Schwestern und Brüder!
Liebe Taufeltern und Paten. Liebe Kinder!
Jesaja ist von Gott berufen worden. So wie wir von Gott berufen werden
durch die Taufe zu einem neuen Leben. Der Taufspruch von
Johannes, der Jesus getauft hat, war: Ändert euer
Leben, denn das Reich Gottes ist nahe. Jesaja wird durch eine
Vision berufen. Vision, da sieht einer vor seinem inneren
Auge etwas so intensiv, als wäre es Wirklichkeit. Wie die
Träume, in denen wir nicht mehr wissen,
träumen wir oder sind wir wach. Das gibt es, das ist keine
Spinnerei, das ist sogar sehr wichtig für uns
Menschen, nicht allein in der Welt der Tatsachen, der
sogenannten Tatsachen zu leben, sondern auch in der Welt der
Träume. Kinder erzählen oft Geschichten, wo
die Eltern erstmal gar nicht wissen, ist das nun wirklich
passiert oder nur in der Phantasie. Gut, ich glaube, die
Berufung Jesajas zum Propheten, zum Sprachrohr Gottes, ist in
seiner Phantasie passiert. Gott ist etwas, was mit Phantasie
verbunden ist. Gott ist keine Tatsache, sowenig wie die Vision eine
Tatsache ist. Es ist eine phantastische Sache, eine
Traumsache. Träume sind etwas wichtiges. Phantasien
können die Welt verändern. Bevor technische
Erfindungen industrielle Revolutionen auslösen, sind sie
erstmal nur fixe Idee in den Köpfen der heutigen
Daniel Düsentriebe. Ohne Phantasie würde
kein technischer Fortschritt denkbar sein, das wissen alle,
die in den exakten Wissenschaften tätig sind.
Phantasien verändern die Welt. Es gibt schmutzige Phantasien.
So haben verwirrte Wissenschaftler die Atombombe erfunden und
damit die gesamte Menschheit in tödliche Bedrohung
gebracht. Und es gibt tolle Phantasien, etwa die Achterbahn
oder die Schaukel oder Sonnenkollektoren. Ihr merkt, wie
wichtig die Phantasie ist. Die Vision des Jesaja ist eine
solche wichtige Phantasie. Er steht vor Gott. Gott sitzt auf
einem Thron. Komisch, wie leicht man sich Gott als König
vorstellt! Die Christen haben eine andere Vision von Gott als
Zeichen für ihre Kirchen gewählt: Das Kreuz, an
dem Jesus ermordet wurde. Unsere Vision ist nicht mehr der
über allem thronende Herrschergott, sondern ein
Gott, der schreiend leidet und stirbt, von frommen Menschen
hingerichtet als Aufrührer. So ändern sich
die Bilder, die Visionen, die Phantasien, die Erfindungen.
Daß Jesaja sich Gott auf einem Thron vorstellt, ist
eigentlich verständlich. Damals war das
schönste, aufregendste, wichtigste eben der König.
Und so haben sich viele eben auch Gott vorgestellt.
Schön, aufregend, wichtig. Die Engel trauen sich gar nicht,
Gott anzugucken. Die haben Angst, seine Schönheit
nicht aushalten zu können. Jesaja aber sieht Gott und erkennt
in diesem Augenblick, wie häßlich er
selbst ist, wie bekleckert und beschmutzt mit all den Fehlern, die
unter uns Menschen normal sind. Unreine Lippen, weil unsere
Münder so viel Gehässiges,
Häßliches, Verletzendes sagen. Weil wir uns mit
unseren Worten vielleicht noch viel mehr weh tun als mit den
Fäusten. Und die glühende Kohle soll desinfizieren,
das dreckige herausbrennen. Harte Sache. Wie eine Operatio ,
bei der etwas krankes aus dem Körper
herausgeschnitten wird. Wir sind das Volk mit den unreinen Lippen. Wir
sind krank. Wir sind immer zu leicht verletzt und immer zu
schnell verletzend. Das ist eines unserer großen Probleme,
die sich auch international auswirken. Jesaja bekommt nach
dieser schmerzhaften Operation mit der Kohlenzange einen
Auftrag: Er soll das Volk verstocken. Er soll die Menschen mit der
Wahrheit konfrontieren, ohne daß sie die Wahrheit
verstehen und begreifen. Ist das nicht fürchterlich?
Wir meinen doch, daß die Wahrheit uns die richtigen Dinge tun
läßt. Aber scheinbar eben doch nicht. Die
Wahrheit kann uns auch das falsche tun lassen, kann Trotz
hervorrufen oder Resignation, kann Verbitterung und Angst erzeugen,
kann Haß und Ablehnung auslösen. Das ist
ein typischer Mechanismus. Je schwächer ein Mensch ist, umso
weniger kann er vertragen. Je verlogener einer ist, umso mehr
haßt er die Wahrheit. Die Wahrheit macht ihn nur
wütend. Das Hinschauen macht ihn blind vor Wut. Denn die
Konsequenz vieler Erkenntnisse wäre, daß
wir unser Leben in bestimmten Punkten ändern
müßten, die uns so lieb und vertraut und
angenehm geworden sind. Das täte weh, so eine
Umstellung, so eine Änderung. Und deshalb wehren wir uns gegen
alles, was unsere derzeitigen Ansichten und
Lebensgewohnheiten bedroht. Es ist Selbstschutz. Wenn ein
Mensch erfährt, daß er Krebs hat, ist er in den
ersten Wochen so geschockt, daß er immer wieder
sagt, nein, das kann nicht wahr sein, das darf einfach nicht wahr sein.
Bis er endlich ertragen lernt, daß sein Leben bald
vorbei sein wird. So leugnen wir oft die Wahrheit, um unsere
innere Stabilität aufrecht z erhalten. Das darf nicht wahr
sein, also ist es eben nicht wahr. Und der, der uns solche
bösen Dinge erzählt, ist unser Feind,
greift uns an, will uns Böses. Früher hat man die
Boten, die die Niederlage in einer Schlacht dem
König meldeten, sofort getötet, quasi um die
schreckliche Botschaft ungeschehen, ungehört zu
machen. Heute versucht man schon wieder, die zum Schweigen zu
bringen, die an unsere schuldbeladene grausige Vergangenheit
im Hitlerdeutschland erinnern. Es ist eben nicht leicht,
Wahrheit zu ertragen. Wahrheit über mich selbst: Daß
ich gar nicht der tolle Mensch bin, der ich so gerne
wäre, daß ich gar nicht so gut bin, wie ich gerne
glaube. Wer mir meine Fehler sagt, den finde ich erstmal
gehässig, gemein, doof. Bis ich ertragen kann, daß
er recht hat, daß ich doof bin und nicht er, dauert
seine Zeit. Vielleicht ist es dann schon zu spät und ich
habe mich mit einer komischen Eigenschaft, mit einem Fehler,
völlig verrannt. Bei Jesaja will Gott das sogar so.
Bis nur noch ein Rest übrigbleibt von Israel. Bis nur ein Rest
noch übrig bleibt von mir, meinem Mut, meiner Kraft,
meinem Selbstbewußtsein. Dann endlich kann ich
verstehen und richtig hören, was mein Stolz nicht ertragen
hat. Dann endlich bin ich offen, Gottes Wahrheit zu sehen und
zu vertragen. Dann endlich kann ich mich so sehen und
akzeptieren, wie ich bin: ein Mensch mit unreinen Lippen, mit
schmutzigen Phantasien, mit viel Vorurteilen, mit viel
Überheblichkeit. Wenn ich dann meine eigene
Unvollkommenheit ertragen lerne, werde ich die Unvollkommenheit
der anderen Menschen auch besser bejahen können,
dann werde ich weniger an ihnen herummeckern und eher
verstehen, wieso sie so komi ch sind. Ich werde barmherzig,
weil ich merke, wie sehr ich selbst auf Barmherzigkeit angewiesen bin.
Und so erkennen sich die Christen als unvollkommene Leute,
die allesamt Dreck am Stecken haben, keiner besser als der
andere. Und sie üben sie darin, zuerst über den
eigenen Dreck nachzudenken und dann erst über die
Dreckigkeit der anderen. Und bei diesem Nachdenken bekommen
sie den Wunsch, sich gründlich abzuwaschen von allem
Schmutz. Es reicht ihnen nicht mehr zu wissen, daß andere
auch dreckig sind. Sie wollen etwas tun, damit sie selbst
nicht mehr so dreckig bleiben. Und das versuchen wir mit der
Taufe. Sie soll uns reinwaschen von unseren Fehlern und ihren
bösen Folgen. Sie soll uns das Gefühl
geben, daß Gott uns als frischgeduschte, saubere Leute haben
möchte und uns den Schweiß und die Last
unseres Lebens immer wieder abwäscht. Wer so von
seinem eigenen Dreck frei wird, der wird sich nicht mehr freuen oder
ärgern über die Schuld und Schande der
anderen Menschen, sondern wird überlegen, was er tun
kann für ihre Sauberkeit, für ihre
Appetitlichkeit. Vielleicht lädt er sie mal zum Baden
ein. Vielleicht seift er ihnen den Rücken ein.
Vielleicht wäscht er ihnen den Kopf. Jesus hat
seinen Jüngern die Füße gewaschen. Amen.