Liebe Schwestern und Brüder!
Ich fühle mich gerichtet von diesem Text. Meinen Bruder nicht
richten. Nicht verdammen. Ich denke an meinen, an unseren
alltäglichen Tratsch, ich denke an das Reden
über andere, die sich nicht melden können und alles
richtig stellen. Ich denke daran, wie ich meinen Gegnern
Unrecht tue, wenn ich versuche, mein Herz einem Freund
auszuschütten. Ich denke an meinen Ärger, wie er mir
die Möglichkeit verschließt, von meinem
Gegner her die strittige Sache zu sehen. Ich bete für
meinen Gegner, aber ich bitte nur darum, daß er
mich versteht, nicht, daß ich ihn verstehe. Ich
weiß, auch ich bin Gegenstand von Tratsch und ungerechten
Urteilen, die teilweise auf falscher Information beruhen. Ich
erinnere mich noch an den Anfang hier in Weddinghofen, als
man mich aufgrund langer Haare verurteilte, als Leute
tratschten, ich würde mich mit Talar und Stahlhelm
aufs Motorrad schwingen und zum Friedhof düsen. Viel
Ärger aufgrund falscher Information, aber auch mancher
Ärger über Tatsachen, die
anstößig waren oder sind - meine Art, wenig auf
Äußerlichkeiten zu achten, weil ich kein
Pastor geworden bin für die Fassade, sondern fürs
Herz, für die Seele. Es war so manches
falsch, was ich gemacht habe. Aber ich habe es selten durch
den Tratsch eingesehen, daß es falsch war, sondern
nur durch aufrichtige Freunde in der Gemeinde, die mir Kritik
gegeben haben, ohne mir darin zuviel zuzumuten. Ich habe oft
gesagt: Du, jetzt reicht es. Laß mich darüber erst
mal eine Weile nachdenken, dann reden wir weiter. So helfen
Freunde: Durch gute, unerbittlich klare Kritik. Der Tratsch,
die vielen, die mich im Bausch und Bogen verdammt haben, haben mir kein
Stück geholfen. Sie haben mich nicht verstehen
können, sie haben mir ihr eigenes Denken und
Fühlen nicht mitgeteilt. Ihr Gericht über mich war
ohne Wirkung. Das Schlimme an unserem Bibeltext von Paulus
ist ja: Sobald ich sage:Richte nicht deinen Bruder: - so
verurteile ich ja schon wieder etwas. Ich verurteile den, der seinen
Bruder verurteilt. Ich verurteile ihn, weil er verurteilt.
Und schon kann jemand kommen und sagen: Hallo du, jetzt
machst du ja genau dasselbe, du verurteilst auch jemanden. Du bist also
kein Stück besser. Genau das ist der
springende Punkt: Ich bin kein Stuck besser. In dieser
Erkenntnis liegt das Evangelium. Wenn Luther sagt: Wir sind
alle Sünder, so liegt darin nicht eine Nivellierung
der guten Taten mit den echten Schweinereien, die es viel zu viel
gibt, sondern das weise Wissen, daß noach im besten
Werk unlautere Absichten stecken und noch in der schlimmsten
Tat ein gescheiterter Versuch liegt, Recht zu schaffen.
Richtet nicht! - wie oft stimme ich nicht mit Dingen überein,
die ein anderer tut. Heißt das, ich soll immer
schön ruhig sein, jeden alles machen lassen? Ich glaube,
das würde im Chaos enden. Wir brauchen die Menschen,
die uns helfen durch ihrer Kritik, die uns zeigen, wo sie
nicht mehr mitkönnen. Denn es lebt nicht jeder vor sich
hin, sondern wir leben miteinander für ein
gemeinsames Ziel: für Gottes Welt. Und nicht immer
ist meine Idee dazu die richtige, nicht immer deine Idee. Darum
brauchen wir den gegenseitigen Rat, die Kritik. Wir brauchen
das Gespräch, das dialogische Miteinander, das gute
Wort, was weiterführt. Nur eins hilft selten: Die
Verdammung, die endgültige Verurteilung, die keine
Revision zuläßt. Wer den anderen abgestempelt hat,
der läßt ihm keinen Weg mehr, den man
gemeinsam gehen könnte. Das führt zu keinem Ziel,
nützt dem Reich Gottes nicht. Es hilft aber dem
Teufel, wenn wir uns gegenseitig unsere Verdammungsurteile
attestieren. Der freut sich dann in uns. Dann wird uns teuflich wohl
ums Herz, wenn wir einen so richtig verteufeln
können. Brauchen wir das, müssen wir so unsere
Aggressionen austoben, werden wir nicht anders damit fertig,
unsere Gegner zu bekämpfen? Ich möchte mit Ihnen,
Liebe Gemeinde, jetzt einen Schlachtplan machen. Nehmen wir
an, wir haben einen Gegner, mit dessen Tun wir überhaupt nicht
einverstanden sind. Möglichkeit eins: Wir schimpfen,
schreien, protestieren, verurteilen scharf. Damit treiben wir
ihn in die Enge. Er wird widerborstig wie ein geängstigtes
Stachelschwein. Er verteidigt sich in seiner Angst,
daß er im Unrecht sein könnte, mit allen Mitteln. Er
hat keine Trümpfe mehr in der Hand. Also holt er die
fiesen Sachen aus der Munitionskiste. Er schlägt
unter die Gürtellinie, weil ihm die Argumente ausgehen. Er hat
kein Recht, das wissen wir. Aber es tut uns trotzdem weh,
unter unserer Gürtellinie. Jetzt haben wir noch mehr
Recht, unseren Gegner zu verdammen. Wir verschärfen unser
Urteil, seine Angst wächst, er tritt wieder und noch
böser unter die Gürtellinie. Fazit: Obwohl wir
im Recht sind, ernten wir Schläge unter die
Gürtellinie. Warum: Weil unser Gegner in der Ecke
gedrängt keine andere Wahl mehr hatte. Wir haben ihm die
Möglichkeit zu einem fairen Kampf
verwehrt. Möglichkeit zwei: Unser Gegner ist im
Unrecht, wie bei Fall eins. Aber wir hauen es ihm nicht als
Bratpfanne vor den Schädel, sondern fragen nur vorsichtig an:
Lieber Bruder sowieso, ich kann verstehen, wieso du dich so
und so verhalten hast. Aber hast du auch bedacht,
daß der und der und der unter deinem Verhalten sehr leiden
mußte? Wolltest du das, oder ist es vielleicht
deiner Aufmerksamkkeit entgangen? - So, liebe Gemeinde, ich
bin gespannt, wie Bruder Sowieso nun reagieren wird. Immer noch
wie ein Schwein, ein Stachelschwein? Oder nicht vielleicht
doch eher mit Einsicht: Ja, doch, das habe ich gar nicht im
Blick gehabt, das wollte ich gar nicht, daß andere
darunter leiden. Und im Nu ist unser Gegner genau da
angekommen, wo wir es uns wünschten: Er gibt die
Position auf, die ihn zu unserem Gegner gemacht hat. Er ist
für uns kein Störenfried mehr, sondern er
wird für uns zum möglichen Gesprächspartner,
zum Bundesgenossen, zum Mitstreiter unserer Sache. So
funktioniert christliche Bündnispolitik. Ich sage das mir,
nicht Ihnen, Liebe Gemeinde! Ich hoffe, Sie haben sich
wiederfinden können in manchem, was ich mir einmal
wieder klarmachen mußte. Soweit sind wir also. Wir haben uns
den Mechanismus der Vergebung und des Dialogs klar gemacht.
Wir wissen jetzt wieder, die Worte der Vergebung
heißen: Hast du dir denn auch überlegt,
daß du dem und dem weh tust? Wir wissen, wie wenig
der Vorwurf nützt: Du hast aber... Wir wissen, daß
Vergebung nicht heißt, alles Schlechte fraglos
hinzunehmen. Wir wissen, daß Vergebung darin
besteht, Verstehen zu lernen und Verständnis zu
wecken, eine Brücke des Verstandes zwischen den
Streitenden zu errichten mit der Technik sanfter, behutsamer
Fragen. Liebe Gemeinde! Das war die Theorie! Jetzt
käme die Praxis. Und da geht es mir vor Gott wie dem
Zöllner: Gott sei mir Sünder gnädig! Meine
Vergebungspraxis ist dürftig. Ihre auch? Ist
vielleicht deshalb die Welt so weit noch weg vom Reich Gottes, weil
unser aller Vergebungspraxis so übel aussieht? Gott
sei uns Sündern gnädig! Indem wir alle uns
mit unseren Gegnern zusammen unter das richtende Wort Gottes stellen,
indem wir alle uns als Versager bekennen, finden wir zu Gott
und zueinander. Der Gottesdienst hat diese Brücke
der Vergebung durch das gemeinsamen Sündenbekenntnis
festgehalten. Es ist oft nicht mehr ganz verständlich, wieso
ich da plötzlich auf Kommando sagen soll,
daß ich ein Sünder bin, zumal, wenn ich supergute
Laune habe, mich freue über die gegenwart Gottes und
vielleicht mich einmal gar nicht schlecht fühle.
Dann bitte ich das Sündenbekenntnis zu verstehen als ein
Training. Wenn wir nicht lernen, uns zu bücken,
werden wir nie fähig, andere Menschen einmal zu
tragen, wenn sie unsere Kraft des Verstehens und der
Vergebung brauchen. Wenn wir nie trainieren, uns klein zu
machen, haben wir auch keine Chance mehr, über uns
hinauszuwachsen. Wenn wir nie erkennen, wie fehlerhaft unser Verhalten
ist, werden wir unsere Fehler immer nur in unseren Gegnern
wiederentdecken und verdammen. Der Weg zur Vergebung beginnt
mit dem Satz:Gott sei mir Sünder gnädig. Dann
kommt der Satz: Lieber Bruder, hast du bedacht,
daß...? Und im Western heißt das
gemeinsame Sündenbekenntnis rauh, aber aufrichtig:
Ich bin ein Arschloch, du bist ein Arschloch. Komm, wir gehen
einen trinken. Sie denken vielleicht jetzt, warum muß das in
einer Predigt kommen. Ich sage Ihnen jetzt: Wenn ich und Sie
wenigstens so weit wären, wie diese unsere beiden
Trunkenbolde nach ihrer saftigen Schlägerei, wir
wären auf dem Weg zur Versöhnung, wir
wären enorm weitergekommen. Dazu helfe uns allen der
gnädige Gott! Amen.