Wir
gedenken heute
der Opfer von Krieg und Gewalt in unserer Zeit: der Soldaten, die in den beiden
Weltkriegen gefallen, ihren
Verwundungen erlegen oder in Kriegsgefangenschaft
gestorben sind, der Frauen, Kinder und Männer, die durch Kriegshandlungen, auf der
Flucht oder bei der
Vertreibung aus ihrer Heimat ihr Leben lassen
mußten. Wir gedenken all derer, die unter der
Gewaltherrschaft Opfer ihrer Überzeugung
oder ihres Glaubens wurden, und
all derer, die getötet wurden, weil sie einem
anderen Volk angehörten oder einer anderen Rasse zugerechnet
wurden. Wir gedenken
der Männer, Frauen und Kinder, die in
der Folge des Krieges und wegen der teilung
Deutschlands und Europas ihr Leben verloren. Wir trauern mit den
Familien und
freunden um die Gefallenen und Toten all
der Völker, die unter beiden Weltkriegen gelitten
haben. Wir trauern mit den
Angehörigen um die Opfer des Terrorismus, der Kriege und
Bürgerkriege unserer Tage. Wir
trauern, doch wir leben in der Hoffnung auf Versöhnung
der Völker und Frieden in der Welt.
Für viele von uns ist dieses Gedenken vielleicht ein
unbequemes Thema, mit dem man
bei vordergründiger Betrachtung nicht so
recht etwas anzufangen weiß. Vierzig Jahre
nach Kriegsende verblaßt allmählich die Trauer,
abgesehen vielleicht von der Trauer
der nächsten Angehörigen. Damit ändert
sich auch der Sinn des Volkstrauertags. Neben
die Trauer tritt mehr und mehr das Nachdenken über die
Ursachen der mehr als Hundert
Kriege, die es seit dem letzten
Weltkrieg in aller Welt schon wieder gegeben hat.
Wie uns die Erfahrung leidvoll lehrt,
kann Gedankenlosigkeit tödlich sein. Die Wahlentscheidung
von 1933 war eine der
schrecklichsten Dummheiten der Deutschen. Fast
ununterbrochen führen in unserem
Jahrhundert nach wie vor Menschen Kriege und
Bürgerkriege. Sie haben immer wieder neue
Einfälle, einander zu quälen und zu vernichten.
Den 55 Millionen Toten beider Weltkriege folgten seit 1945 weitere 30 Millionen als Opfer der
Gewalt gegen Menschen.
Als neue Geißel ist dabei neben den Krieg
der Terrorismus getreten, der zur Durchsetzung obskurer Ziele
rücksichtslos und
heimtückisch
unbeteiligte Menschen in
den Tod reißt. Es ist Terrorismus, wenn in Kaufhäusern
Bomben gezündet werden. Aber es
ist auch Terrorismus, wenn in Südafrika
Polizei in wehrlose Menschenmengen schießt und
täglich Schwarze sterben, weil
sie demonstriert haben für ihre
Menschenwürde. Und es war Terrorismus, als in unserem Land vor
über 40 Jahren 6 Millionen
Juden und Abertausende von Russen, Kommunisten,
Sozialdemokraten und Zigeunern grausig abgeschlachtet wurden. Auch die Gräber unseres
Russenfriedhofs in
Weddinghofen verbergen manche grauenvolle Bluttat.
Die Führer der evangelischen Kirche,
gerade aus dem Konzentrationslager befreit,
haben 1945 im Stuttgarter Schuldbekenntnis von einer kollektiven Schuld
aller Deutschen
gesprochen. "Wir klagen uns an,
daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet,
nicht fröhlicher geglaubt, nicht
brennender geliebt haben." So sagten die, die gerade
noch mit dem Leben davongekommen waren,
weil sie nach Kräften Widerstand geleistet
hatten gegen die Gewaltherrschaft der Nazis. Sicherlich haben die
meisten Deutschen
nicht selbst gemordet. Aber sie
haben geschwiegen, wo sie hätten schreien sollen.
Und als einige geschrien haben, da war
es wieder einmal zu spät. Was lernen wir daraus? Wie kann
unsere Trauer
fruchtbar werden, daß nicht nocheinmal
unser Volk Krieg erleben muß? Ich glaube, wir Deutschen haben
mit der unglaublichen
Schuld von Millionen Opfern
unseres Terrorismus damals eine ganz besondere
Verantwortung dafür, daß kein Krieg mehr sei, nicht
in anderen Ländern und erst
recht nicht mehr bei uns. Einer der
Fehler, die wir gemacht haben, war: die falsche Partei
zu wählen. Man hat sich verführen
lassen von großartigen Versprechungen. Der zweite
Fehler war dann programmiert: man hat
geschwiegen zur Aufrüstung Mitte der Dreißigerjahre.
Aus Trägheit, blindem Vertrauen, oder vielleicht schon aus
Angst. Und dann war
man drin im Strudel der Gewalt. Es
gab kein Zurück mehr. Man hat den Zeitpunkt
nicht erkannt, an dem das Volk noch hätte umkehren
können. Volkstrauer heute
heißt: lernen aus dieser unserer
Geschichte. Und die Lehre ist: Erkennt die Zeichen
der Zeit und wehret den Anfängen. Aus
Rüstung kann nie und nimmer dauerhaft
Friede werden. Es gibt eine stärkere Waffe als jede Pershing
II und jedes SDI-Programm.
Diese Waffe ist der Gott, der
Liebe ist. Wo Menschen nach der Ordnung
seiner Gewaltlosigkeit handeln, wächst ein geradezu
beängstigender Mut, ohne
Gewalt für die Ziele einzutreten, die
wichtiger sind als alle nationalen Interessen, die
zumeist eh nur die Interessen einiger
weniger Machthaber im Volk sind. Ghandi, Martin
Luther-King, der Ruhrkampf 1923 und die
Erfolge der Solidarnosch-Gewerkschaft
in
Polen zeigen, daß auf Dauer die Macht der Ohnmächtigen
stärker sein kann als die
Abschreckung der noch so perfekten Waffensysteme.
Inzwischen haben praktisch alle Machthaber erkannt, daß der
Feind gar nicht
mehr das andere Volk ist, sondern der
unaufhaltsame Fortschritt und die Eigengesetzlichkeit
der Aufrüstungsspirale. Das Mißtrauen gegeneinander
und massive Firmeninteressen
treiben die Völker zu immer
neuen Rüstungswahnsinnstaten an. Der Hunger
auf der Welt wäre längst nicht mehr, wenn auch nur
ein Bruchteil der Rüstungsausgaben
für Entwicklungsprogramme
verwendet würde. Allein an der bloßen Existenz
von kostspieligen Armeen sterben täglich 40.000 Kinder im
Hunger. Angesichts dieser
Entwicklung kann und darf unsere Trauer
und geschichtliche Verantwortung für den
Frieden nicht einfach nur stummes Mitleid mit den Opfern sein. Nein,
wir sind gefordert,
aktiv für den Frieden einzutreten.
Trauer ist eine Chance zum Über-Sich-Hinauswachsen.
Das Eine ist, zu erkennen, sich zu informierten, was im rüstungsbereich
geschieht. Und in fürchte, wir
haben uns noch zu wenig gegen die Pershings
gewehrt, nun haben wir hier die höchste Atomwaffendichte der
Welt, sitzen auf
dem Pulverfaß. Möglicherweise ist es schon
zu spät, etwas zu tun gegen den Strudel der
Vorkriegsgesetzmäßigkeit. Aber je länger
wir warten, desto später wird es. Und
die Lektion unserer
über 40 Jahre alten
Schuld ist: rechtzeitig schreien und der Aufrüstung widerstehen. Das Zweite ist,
angesichts der
Todesspirale Aufrüstung zu erkennen: Alle wollen
Frieden. Alle Völker wollen Abrüstung.
Und alle haben Angst, die Gegner könnten
zuviel Waffen haben. Und darum, aus Mißtrauen und Angst,
rüsten alle auf. Nicht
die fremden Völker sind der wahre Feind.
Der wirkliche Feind ist unsere Angst, unser
Mißtrauen, ist die russische Angst, das russische
Mißtrauen, die amerikanische Angst,
das amerikanische Mißtrauen. Und diesen
Feind bekämpfen wir nicht mit Waffen,
sondern mit Vertrauen. Und hier will uns die geistliche
Waffenrüstung des Glaubens
an die Macht Gottes ein grandioses
Angebot machen: Wenn wir wirklich glauben
wollen, daß Gott unsere feste Burg ist, unsere Wehr und
Waffen, dann brauchen wir
tatsächlich keine Atomraketen und das
andere Teufelszeug der Militärs, in einem Land,
das, so Altkanzler Schmidt, mit
militärischen Mitteln eh nicht mehr zu verteidigen ist. Wenn aber wir keine
Waffen mehr haben,
schwindet bei anderen Völkern die Angst, wir
könnten sie angreifen. Es ist äußerst
unwahrscheinlich, daß heute noch ein Völk auf Raubzüge geht. Also
werden unsere politischen
Gegner auf unsere Abrüstungsschritte hin
auch abrüsten. Dann wird es eine Abrüstungsspirale
geben statt der jetzigen Aufrüstungsspirale.
Das ist machbar und
möglich. Aber einer muß den glaubhaften Anfang
machen. Und dann wird der Satz Realität: Gott ist unser
Schutz. Bei Hunden löst
das Hinhalten der Kehle, also die
absolute Wehrlosigkeit, eine völlige Tötungshemmung
aus. Bei Menschen löst der Verzicht auf Gewalt ebenso eine Tötungshemmung aus,
wenn Vertrauen da ist. Wir
haben hiermit nur noch fast keine Erfahrungen,
weil wir ständig auf der Hut sind und uns von allem und jedem
bedroht fühlen.
Wir sind da ganz am Anfang, Vertrauen
als die Waffe zu beherrschen, die wirksamer
ist und zukunftsträchtiger als die besten Waffensysteme der
Welt, die unsere Zukunft
radikal vernichten können. Vertrauen,
Gewaltlosigkeit will gelernt sein. Wer als
Kind auf dem Schulhof schon lernt, sich mit den Fäusten zu
wehren, wird kaum verstehen
können, daß ohne Drohung,
Abschreckung, Gewalt die Konflikte auch zu lösen
sind. Darum fängt Abrüstung und
Friedenschaffen schon in der Schule an, nein, schon
im Kindergarten, nein, schon in der Familie.
Wenn die Eltern ihren Kindern mit Schlägen
und lauten Worten das Recht des Stärkeren beibringen, wie
sollen da Kinder jemals
die Macht der Ohnmächtigen, die
Möglichkeit friedlicher Konfliktlösung als erfolgreichen Weg
kennenlernen? Der Frieden fängt
im Elternhaus an! Die Lehrpläne der
Schulen schreiben Friedenserziehung als Pflichtprogramm vor. Gut so.
Wir
könnten sogar
in der Art von
Selbstverteidigungskursen trainieren, im Fall von körperlicher
Bedrohung ohne
Gewalt herauszukommen. Der
immer belächelte Tip Jesu - ich halte ihn
für die Rettung der Welt: Ihr wißt, daß es
heißt: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Ich aber sage euch:
Ihr sollt euch
überhaupt nicht gegen das Böse wehren. Wenn dich
einer auf die
rechte Backe schlägt, dann halte ihm
auch die linke hin. - Ich möchte Ihnen, liebe Weddinghofener heute, 40
Jahre nach dem
letzten Weltkrieg, angesichts der unsagbaren Grauen
des Krieges diese einfach und
wirkungsvolle Lektion mit auf den Weg geben: Haben
Sie es auch nur ein einziges Mal in ihrem
Leben probiert, wenn Sie auf die eine Backe
geschlagen werden, die andere auch noch hinzuhalten? Probieren Sie es
aus, nur ein
einziges Mal, es könnte der Anfang des
Wirkens von Gottes Waffe sein: der Liebe. Das
wünsche ich uns allen.