Friedenskirche
am 16.8.1985
Lieder:
Mein Liederbuch (ML) A9,1-3=EKG 108; B61; B37; B49. –
Liturgie:
ML S.9 „Lebendige Gemeinde“; Credo: ML S.24 oben;
Gebet ML S.18 „Frieden“;
Segen ML S.9
Liebe
Gemeinde!
Am Freitag
vor zwei Tagen sah es hier in diesem Raum ganz anders aus. Wo jetzt der
Altar
steht, waren die Instrument der Peter-Janssens-Gruppe aufgebaut:
Große
Lautsprecher, Kongas, E-Gitarre, Baß und ein elektrischer
Flügel, Mikrophone
für die Sängerinnen und Sänger. Der Altar
war mitten in der Kirche nur halb so
hoch wie normal aufgebaut, vollgepackt mit türkischem Brot und
Flaschen voll
Traubensaft, Gläser und dem Kerzenleuchter. Die
Stühle waren alle weg.
Stattdessen haben sich die Gottesdienstbesucher Kissen und Decken
mitgebracht
oder noch während des Beginns der Liturgischen Nacht Matratzen
aus dem
Kriechkeller unter der Kirche hochgeholt. Es waren nur wenige Leute,
statt der
erwarteten 300 kamen nur 70 Menschen. Aber als sie sich um den Altar
herum
gelagert hatten, wurde es von Minute zu Minute gemütlicher.
Die Band begann mit
Musik, sie spielte einfach so vor sich hin. Wir waren alle etwas
enttäuscht,
daß so wenig Leute gekommen waren. Der Gottesdienst begann
nicht mit
Hochstimmung, sondern mit Niedergeschlagenheit. Einige standen noch um
Piet's
Flügel herum und guckten ihm auf die Tasten, während
er spielte. Für ihn und
seine Gruppe war das auch merkwürdig, nachdem sie noch letzten
Sonntag mit
50.000 Menschen den riesigen Abschlußgottesdienst auf dem
Kirchentag in Düsseldorf
gefeiert haben, jetzt vor einem so kleinen Häuflein Elend in
Bergkamen zu
spielen. Ich habe mich zuerst für uns geschämt, weil
wir nicht mehr Leute auf
die Beine gebracht hatten für diesen Gottesdienst. Aber
nachdem wir die ersten
Lieder gesungen hatten, Lieder, die wir auch sonst schon oft hier in
den von
Konfirmanden gestalteten Diskussionsgottesdiensten gesungen haben,
alles Lieder
von Piet Janssens, wurde uns langsam etwas besser zumute. Es war
langsam, fast
unmerklich ein Gottesdienst geworden, es wurde uns egal, wie viele wir
waren.
Wir merkten, daß es nicht auf die große Zahl ankam,
sondern auf uns, auf unsere
kleine Zahl. Die Zahlen in der Bibel sind ja auch fast alle
übertrieben. Die
damals waren ja auch niemals die Massen, die wir uns bei der Speisung
der 5.000
so vorstellen. In Wirklichkeit waren es immer schon eine kleine
Minderheit, die
Christen. Und der Kirchentag läßt das ja vergessen,
daß diese 123.000 Menschen
im Verhältnis zu den 60 Mill. Bundesbürgern auch nur
ein winziger Prozentsatz
ist. Aber in der Masse ist man stärker. Wir am Freitagabend
waren Keine Masse.
Wir waren ein kleines Häuflein so wie heute morgen auch. Und
wir haben
angefangen, uns zu freuen, daß wir überhaupt so
viele waren, und nicht etwa nur
10 oder 20. Und dann die Musik. Wir haben uns freigesungen,
warmgesungen. Das
war übrigens auch noch eine wichtige Sache: Als wir die
letzten Vorbereitungen
vorher trafen, alles nochmal durchgingen, nahm mich Piet Janssens, der
mich
nicht kannte, für den ich nur irgendein popeliger Pastor war,
den er vielleicht
nie wieder sieht, in den Arm und sagte: Du bist also der Michael mit
dem
Motorradunfall wie geht es denn deiner Freundin. Wissen Sie, liebe
Gemeinde,
das war für mich wie eine Erlösung, von diesem
freundlichen fremden Mann in den
Arm genommen zu werden. Mir wurde da bewußt, wie mir das
fehlt hier in
Bergkamen, im Vergleich zu früher. Hier denken doch die
meisten, der hat
Absichten, wenn er einen anfaßt . Oder er tickt nicht
richtig. An Piet Janssens
Umarmung habe ich gemerkt, daß ich richtig ticke. Es war
schön, einfach so in
den Arm genommen zu werden. Das Eis war gebrochen. Wir waren Freunde
geworden.
Zeichen der Freundlichkeit Gottes. Dann hatten Corinna Helm und Michael
Drebs
die erste Überraschung vorgestellt: ringsum an den
Wänden lagen auf Plastik
ausgebreitet Dinge aus der Schöpfung Gottes, die uns zeigen
und sagen sollten,
wie schön Gott diese Welt gemacht hat, welche Kostbarkeiten es
zu bewahren und
zu hüten gilt. Gräser, Blätter, Insekten,
Erdklumpen, Wasser in mannigfachen
Formen. Wenn diese Dinge auf den Schöpfer
zurückschließen lassen, dann ist Gott
schön. Und wir haben sein Werk geschändet. Um die
Ehrfurcht vor dem Leben und
dem Lebendigen wiederzugewinnen, muß man all dieses
Wundervolle genau sehen,
anfassen, fühlen, riechen, schmecken. Die Erde ist Gottes
Erde, so war das
Motto des Kirchentags, so war unser Motto. Wir haben nach der Bibel
Kein Recht,
diese Erde zu kaufen, zu verkaufen, sie niederzutrampeln, zu vergiften,
abzuholzen und zu zerbomben. Die Erde ist kostbar. Gott hat sie lieb.
Sie soll
für alle da sein, nicht nur für
Großgrundbesitzer und Großindustrien. Wir zogen
durch die Kirche von einem Stand zum anderen, vom Gras zu den
Schmetterlingen,
vom Wasser zu den Erdklumpen. Dann setzen wir uns wieder und sangen,
hörten zu,
dachten nach. Viele tuschelten miteinander über das Gesehene.
Oder redeten noch
während des nächsten Liedes darüber. Es
störte KEINEN. Die ganz kleinen Gäste
hopsten auf den Matratzen herum und lachten und freuten sich. Und all
das um
den Altar herum, der gar nicht mehr fremd und steril vorne stand,
sondern
mitten unter uns. Unser Leben sei ein Fest, Jesu Geist in unserer
Mitte. So sangen
wir, und der Tisch des Herrn stand mitten unter uns, wirklich unter
uns, tiefer als sonst. Wir haben ihn als Zentrum erlebt, einladend und
voll mit
Speise und Trank. Dann teilten wir uns in zwei Gruppen, die eine
schrieb ihre
Vorstellung von Gerechtigkeit auf Kleine runde rote Zettel, die andere
ihre
Vorstellungen von Frieden. und dann wurde verglichen, Konfrontiert. Es
Kam zu
einem heftigen Streit über Gewalt in Südafrika und
anderen armen Ländern. Wir
waren uns nicht einig, ob man in jeder Situation mit der Waffe der
Gewaltlosigkeit
das Ziel der Gerechtigkeit erreicht. Ob man die Militärs, die
Hitlers der armen
Länder mit Argumenten allein überzeigen Kann? Wir
stritten uns. Es ging uns
aber bei allem Streit um das Eine: Kein Mensch soll mehr hungern;
Keiner mehr
soll durch Waffengewalt sterben müssen, wie es heute der
Alltag vieler Länder
noch ist. Erst wenn Gerechtigkeit herrscht, wenn jeder satt ist, Kann
es
Frieden geben. Und erst wenn Frieden ist, wenn Keiner mehr mordet oder
ermordet
wird, ist Gerechtigkeit da. Wir legten aus Stoff-Fetzen mitten in der
Kirche
große Zeichen, jeder bekam ein, zwei Flicken und legte sie zu
denen der
anderen, bis es vollständig wurde zur Weltkugel, zur
Friedenstaube, in die wir
uns alle engumschlungen hineinstellten, zum Kreuz, dem Zeichen der
Folter und
des Leidens Gottes unter der Lieblosigkeit der Welt, das
schließlich umgebaut
wurde zur Waage als Zeichen der Gerechtigkeit, die jedem seinen Anteil
an den
Gütern dieser Erde gibt, die Gottes Erde sein soll. Wir
tanzten miteinander zu
einem Lied, wir legten uns auf den Boden und ließen uns den
Kopf verdrehen und
tragen von einem anderen, dem wir unsererseits dann den Kopf
verdrehten, eine
Art Massage, die uns zeigt, wie verkrampft wir normalerweise sind und
wie sehr
es gut tut, sich einem anderen ganz anzuvertrauen. Wir meditierten mit
Dias
über Brot, das uns nährt und feierten
schließlich das Abendmahl mit Traubensaft
und mit türkischem Brot - Brot der Leute, die der Hunger zu
uns getrieben hat -
und indischem Linsenbrei. Zum ersten Mal in der Friedenskirche hat mir
das
Abendmahl wirklich gefallen. Denn jeder durfte mitessen. Ob
groß oder klein.
Auch die Kinder haben begriffen, was wir meinen, wenn wir das Brot
brechen und
miteinander teilen: Christi Leib ist für alle da. Genau wie
Gottes Erde. Und es
hat endlich einmal alle wirklich satt gemacht. Wie bei den wundervollen
Speisungen der Vielen bei Jesus. Es war fast wie in der Wüste,
dieser
Miteinander um den Altar herum, mit dem Linsentopf, den
Gläsern, die von Hand
zu Hand weitergingen, dem Brot, das wanderte, den freundlichen Worten
und
Umarmungen, die die Weitergabe dieser Gabe Gottes begleiteten. Es war
wie bei
Jesus. Es war endlich Erinnerung durch Nachahmung. Wir waren satt und
glücklich.
Wir hatten einen Geschmack bekommen, daß Gott freundlich ist.
Wir waren endlich
einmal nicht mehr nur mit einer hauchdünnen Hostie abgespeist
worden, sondern wirklich
.gesättigt. So ist Abendmahl leibhaftig. Danach beteten wir,
still, dankbar,
erfüllt von alldem, was wir an Schönem miteinander
erleben durften. Zum Schluß
sangen wir noch einmal und es bildete sich, das war nicht geplant, das
kam aus
der Stimmung der Leute einfach heraus, es bildete sich ein
großer Kreis, eine Menschenkette,
die singend schaukelte und wippte, wackelte und klatschte und die
Musiker in
ihre Mitte mit hineinnahm. Wir waren in Hochstimmung. Es war kein
Ringelpietz.
Es war wirklich Freude, Dankbarkeit, Wohlbehagen, was uns verband. Zum
ersten
Mal habe ich in der Friedenskirche das Gefühl gehabt, was ich
vor zwei Jahren,
als ich kam, einmal programmatisch so formuliert habe: Dieses Haus mit
allen,
die hier aus- und eingehen, soll ein Ort der Erfahrung von der Liebe
Gottes
werden. Das ist möglich. Es ist nicht mehr nur Traum. Ich
weiß das jetzt. Und
wir werden es uns nicht nehmen lassen, diese Erfahrung öfter
zu machen. Dieses
Haus wird immer mehr das Haus der Liebe Gottes werden. Daran glaube
ich. Amen.