Volkszählung in der römischen Kolonie
Palästina. Eine hochschwangere Frau muss mit ihrem Mann in
dessen - und nicht in ihre - Geburtsstadt reisen. Harte Tage. Die
Herberge ist überfüllt. Maria und Josef sind
gezwungen, mit einer Notunterkunft vorlieb zu nehmen. Jesus wird im
Stall geboren. Schon seine Geburt lässt ihn leiden unter den
Zwängen des Ausbeuterstaates Rom mit seinen Mafiamethoden.
Jesus wird bei einer Volkszählung geboren, die allen schier
unerträgliche Steuerlasten auferlegte. Von Anfang an ist er
Opfer der Herrschenden. Von Anfang an gehört er zu den
Machtlosen, denen, die bluten müssen. Jesus lässt
sich nicht herab zu den Armen. Jesus ist einer von ihnen. Die
Solidarität Jesu mit den Elenden ist keine edelmütige
Großherzigkeit. Er hat das Elend von klein auf erlebt. Die
Heimat Gottes ist das Elend. Gott wohnt in den Slums. Gott wohnt in
Flüchtlingslagern. Gott hat darauf verzichtet,
mächtig zu sein. Er ist arm geworden, um ganz für die
Armen da sein zu können.
Denn sie hatten sonst keinen Platz. Für Gott ist kein Platz
auf der Welt. Von Anfang an lebt Gott auf der Welt herumgeschubst und
abgeschoben. Man kann ihn nicht brauchen. Seine Lehre ist
schädlich fürs Geschäft. Man braucht ihn
nur, wenn man ihn gebrauchen kann: wenn er den Geschäften
nützt. Wenn er bestätigt, was wir gerne
hören wollen. Wenn er uns tröstet, wo wir traurig
sind. Da ist Gott gut. Aber sonst ist kein Platz. Sonst stört
Gott nur. Gott stört uns, wenn er uns in den Hungerkindern
Äthiopiens oder Südafrikas begegnet. Wir beschaffen
ihm eine Notunterkunft. Wir spenden. So, hier hast du deinen Schnuller,
aber jetzt sei ruhig! Wir wollen nicht, das Gott nervt, dass Gott an
unser Leben Ansprüche stellt. Was können wir denn
schon tun gegen Hunger, Krieg, Ausbeutung. Jesus hat das auch nicht
geschafft.
Wir haben hart gearbeitet für das, was wir haben. Wir
müssen kämpfen und sorgen, damit wir den
Lebensstandard halten können, an denen wir uns
gewöhnt haben. Wir haben unsere eigenen Sorgen. Wir haben
genug Probleme. Wir können ja doch nichts machen. So sagen
wir. Und schieben Jesus ab. Unser Leben ist voll. Gott hat da keinen
Platz mehr. "Denn sie hatten keinen Raum in der Herberge."
Kein Platz. Kein Ort. Griechisch ou)
to/poj. Utopie. Die Weihnachtsgeschichte erzählt
vom utopischen Wort. Gott ist eine Utopie. Gott hat noch keinen Platz
auf der Welt, wir haben ihn in unseren religiösen
Vorstellungen in den Himmel verbannt. "Ehre sei Gott in der
Höhe." Da können wir ihn gefahrlos ehren und preisen.
Als Idee, als Gespenst, als Marionette, von der wir nicht so ganz genau
wissen: gibt es ihn nun oder nicht? "Und Friede auf Erden den Menschen,
die guten Willens sind." Wenn wir Gott ehren, dann, indem auf Erden
Friede gemacht wird. Das ist die Logik dieses utopischen Satzes von der
Ehre Gottes und dem Frieden unter den Menschen. Beides gehört
zusammen. Die Weihnachtsgeschichte ist die Vision Gottes, der aus dem
Himmel, in den wir ihn abschieben, auf die Erde kommt und in Jesus
Christus Zeichen des richtigen Lebens gibt. Die Weihnachtsgeschichte
ist der Auftakt der Berichte von Gottes Ortlosigkeit. Auch damals war
für so einen Kerl wie Jesus kein Platz. Diese Geschichte endet
mit dem Kreuz. Diesen Augenblick haben die Christen fixiert. Der Gott
am Kreuz, das ist das Zeichen für diese Welt geworden: eine
Welt, in der die Liebe - obwohl überall gesucht - keinen Platz
hat, in der zwar ständig vom Frieden geredet wird, doch nur,
um Argumente für Aufrüstung zu zieren; in der
Gerechtigkeit bestenfalls Platz hatte auf Kanzeln oder in
Wörtern wie "Wehrgerechtigkeit". Wörter, die Frauen
ins Militär zwingen sollen. Gott hat keinen Platz.
Außer eben das Kreuz zum Hängen und Sterben.
Außer eben den Stall, die Slums, die unterdrückten
Bevölkerungsgruppen. Da ist der Anfang der Ehre Gottes.
Von dieser Ehre Gottes singen die Sänger des
Weihnachtsoratoriums. Die Zärtlichkeit, der Glanz dieser Musik
ist nicht entstanden aus der Pracht von Fürstenhöfen,
sondern aus noch sehr bescheidenen Verhältnissen. Es ist
Musik, die in reichgezierten Kirchen gespielt wurde und wird. Aber es
ist Musik gegen den Wohlstand. "Er ist auf Erden kommen arm, dass er
unser sich erbarm, uns in den Himmel mache reich und seinen Leben
ändern gleich."
Dieser Vers wird kommentiert von Bach: "Des höchsten Sohn
kommt in die Welt, weil ihm ihr Heil sowohl gefällt. So will
er selbst als Mensch geboren werden." Oder die Bass Arie:
"Großer Herr, aus starker König, liebster Heiland,
oh wie wenig, achtest du der Erden Pracht. Der die ganze Welt
erhält, muss in harter Krippen schlafen!" Indem die Gemeinde
Bachs, verkörpert durch die Choräle, teilnimmt an
Gottes Not, macht sie sich sensibel für die Not der Menschen
in dieser Welt. Der Blick wird vom Himmel zur Erde Gewand. Trotzdem
Freude. Die Weihnachtsbotschaft von Gottes Solidarität mit den
Armen ist Anfang einer langen Geschichte, in deren Mitte wir leben und
deren Ende sein wird, Frieden auf Erden. Das ist Utopie,
Zukunftsvision. Weil wir auf dieser Zukunft hoffen, den Himmel auf
Erden, wo endlich jeder satt wird und kein Krieg mehr ist, singen wir
schon jetzt: Ehre sei Gott in der Höhe. Amen.