Liebe Gemeinde,
Trennungen gibt es mehr als gemeinsame Positionen. Und der Geist Jesu
ist ein Geist, der die Geister scheidet. An ihm zerbrechen die
verwandtschaftlichen Beziehungen: "Wer Vater oder Mutter mehr liebt als
mich, ist meiner nicht wert." Jesus schafft Streit und Zwiespalt in der
damaligen jüdischen Sehne. Und er wird immer wieder auch in
bestehenden Zwiespalt hinein gerissen, Gott oder Kaiser, helfen oder
Sonntagsruhe einhalten, Leben schützen oder Gesetze beachten.
Das ganze Leben Jesu verstehe ich als die Frage an uns: Was macht Gott
in den Menschen? Und Jesus sagt: Gott macht Liebe, während die
Juden damals gesagt hätten, Gott macht saubere, korrekte und
ordnungsgemäße Verhältnisse. Liebe oder
Korrektheit - da scheiden sich die Geister. Wir würden gern
beides zugleich. Und fast alle Geschichten von Jesus zeigen, dass
beides zugleich nicht geht. Gottes Reich verletzt die Regeln der alten
Welt. Gottes Reich stellt neue Regeln auf, das Gesetz Christi ist die
Liebe. Das ist so sehr allgemein gesagt. Sobald es konkret wird, geht
der Streit los.
Beispiel 1 für die Geisterscheidung: Was ist wichtiger und
mehr Gottesliebe: die Sabbatruhe einhalten und keine Arbeit und auch
keine Heilungen zu verrichten, oder einen Menschen gesund zu machen?
Unsere pfiffige Antwort: man kann doch beides respektieren, Sabbatruhe
und die Leiden der Krankheit, in dem Jesus die Heilung am folgende Tage
durchgeführt hätte. Hat er aber nicht! Dieser
Schlingel.
Beispiel 2 der Geisterscheidung: Worauf guckt Gott eher: auf die
äußere Figur eines Menschen oder auf sein Inneres?
Was ist wichtiger: kurze Haare und schicke Kleidung oder ein offenes
Ohr für Sorgen und Nöte anderer? Worum soll sich ein
Mensch mehr kümmern, gesetzt den Fall, beides zugleich schafft
er nicht? Würde oder Mitgefühl - und beides
vereint gibt es äußerst selten. Matthäus
23, 1-16
Beispiel 3 für Geisterscheidung: Die reformierte Kirche hat
gesagt: Atomwaffen sind Sünde und gegen Gottes willen. Wir
sagen daher als Glaubensbekenntnis folgenden Satz: "Atomwaffen nein!
Ohne jedes Ja!" Das gehört zum rechten Glauben dazu,
Atomwaffen rigoros abzulehnen. Ja, sagt da die lutherische Fraktion
unserer Kirche, aber was ist mit unserer Sicherheit? Sollen wir auf
Abschreckung dann einfach verzichten und damit die Russen ins Land
locken? So entsteht der Streit um Atomwaffen und Gottes Frieden. Die
Geister scheiden sich.
Seid Christen nach Gottes Willen fragen, hat es über die
konkrete Gestalt von Gottes Willen Streit gegeben. Sogar mit Waffen.
Und wir sind von der Uneinigkeit auch nicht verschont.
Und je tiefer die Zerwürfnisse unter Christen waren, umso mehr
wurde die Wiederherstellung der Einheit und
Gesprächsfähigkeit selbst zum Thema, um dass es ging.
Am Anfang dieses Jahrhunderts haben sich aufgeweckte Christen aus
Europa und Amerika in den Kopf gesetzt, über eine spezielle
Organisationen die Einheit zwischen den Kirchen in aller Welt
schrittweise herbeizuführen. Das ist der Ökumenische
Rat der Kirchen. Hier treffen sich die verschiedensten Menschen:
Schwarze, Weiße, Rote, Gelbe; Lutheraner, Angelikaner,
Reformierte, Baptisten; philippinische Pastoren und afrikanische
Christen, wohlhabende Bischöfe und bescheidene einfache
Gemeindeglieder. Und alle, die getrennt voneinander sind durch ihre
Rasse, Nation, Sprache, Arbeit und besonders durch Arm und Reich, die
sagen dort auf ihren Vollversammlungen: wir alle haben denselben Herrn
Jesus Christus. Wir haben denselben Glauben und dieselbe Taufe. Gott
hat uns alle gleich lieb wie ein Vater seine Kinder. Bei allem, was wir
an Streit haben, vergessen wir das nicht: Jesus verbindet uns. Wir alle
wollen tun, was er getan hat, wir alle sind noch am lernen, seine
große Welt-Schule. Wir lehnen keinen ab, weil er nicht so ist
wie wir, denn wir wissen, Gott liebt alle Menschen. Mit dieser
Gewissheit bemühen wir uns auch um die, die uns nicht passen.
Das ist nicht einfach. So leicht kann der Arme den Reichen nicht als
Bruder gelten lassen, wo er doch verhungert am Reichtum der Reichen. So
leicht kann der unterdrückte den Militärmann nicht
gelten lassen, wo doch seine Leute an dessen Kugeln sterben. Da gibt es
keine Toleranz. Die wäre da auch nicht christlich. Sondern
Einheit in Jesus Christus heißt hier: Aufteilen des
Reichtums, aufhören zu schießen. Die Einheit in
Christus kostet die einen eben doch eine ganze Menge Geld und
Machtverlust. Und wie ernst es mit dem Frieden Gottes ist, der uns
verbindet, das erkennt man daran, wie es um das Abgeben von Reichtum
Ansehen und Macht bestellt ist. Schlecht.
Ist es nicht falsche Versöhnung, wenn Arm und Reich gemeinsam
Abendmahl feiern, hinterher aber jeder an seinen Mittagstisch geht, und
der ist beim einen der beiden leer? Ist Abendmahl da nicht eine
Lüge? Eine Vorspiegelung von Einheit, ohne dass man sich einig
ist?
Ich meine, die Kirche hat oft und allzu oft unter dem Deckmantel der
Einheit all das brutal niedergehalten, was ihrem Kurs nicht entsprach.
Und oft gibt es Wichtigeres als Einheit. Dann müssen wir uns
streiten. Faulen Frieden dulden wir nicht. Die Bischöfe der
Armen Kirchen haben den Bischöfen der Reichen Kirche auf der
Versammlung des Ökumenischen Rates in Nairobi 1975 gesagt:
"Ihr nennt uns Brüder, aber lasst uns verhungern. Darum nennen
wir euch Gegner." Und sie haben Recht. Solange wir dulden, dass in
Südafrika schwarze Christen verfolgt und recht- und brotlos
verenden, solange sind wir Feinde und der eine Herr, der eine Glaube,
die eine Taufe ist machtlos und wirkungslos. Verlesen von Tutu-Brief!
Wenn wirklich ein Gott unsere alle gemeinsam bestimmende Wirklichkeit
sein soll, wenn wirklich ein Herr, Jesus Christus, uns durch sein
Vorbild im Leben führt, wenn dies wirklich von allen geglaubt
wird und werden soll, dann müssen wir unsere Brüder
auch wie Brüder behandeln, nicht wie Feinde.
Zur Einheit des großen Leibes Christi gehört auch
der Streit. Aber zum Stil dieses Streites gehört Christi
Fähigkeit, den anderen trotz seiner kontroversen Meinung zu
behandeln wie jemanden, den Gott lieb hat und der Gott wertvoll ist.
Nur dann zeigt sich etwas vom Herrsein Gottes, der allen Vater ist,
wenn wir andere wie seine Kinder behandeln. Bei allem Streit - lasst
uns dies nicht ganz vergessen. Amen.