Bergkamen
Friedenskirche am 6. 11. 1983 - später
Büscherstiftung Bodelschwingh Overberge
Liebe
Gemeinde,
eine
Witwe - damals mittellos - komm
zum Richter: "Herr Richter, der
Bruder meines Mannes will nicht für meinen Unterhalt sorgen,
er will mich auf
die Straße setzen. " der Richter sagt: "Ja, ja, gute Frau,
das ist
wirklich nicht schön, aber ich habe jetzt keine Zeit, um mich
um so kleine
Lappalien zu kümmern, morgen ist ein Prozeß wegen
Veruntreuung von 200 Denaren,
ein Gutsverwalter ist angeklagt, eine spektakuläre Sache, ich
habe jetzt also
wirklich keine Zeit, liebe Frau Sowieso, schauen Sie doch bei
Gelegenheit noch
mal rein." Die Frau kommt wieder, erst wöchentlich, dann
täglich, dann
mehrmals täglich. Der Richter hat kein Mitleid. Oder wenn,
dann hat er
Selbstmitleid. Er bedauert sich, daß er von dieser
Nörglerin, die ihm ja keinen
Pfennig, besser: keinen Silberling einbringen wird, nicht endlich in
Ruhe
gelassen wird. Und um seine geliebte Ruhe wieder zu bekommen,
erfüllt er
endlich dann ihre Bitte und verfügt die Unterhaltspflicht auf
ihren Schwager,
so wie es damals üblich ist. Jetzt hat die liebe Seele Ruh, er
ist die Frau
losgeworden, aber die Frau hat erreicht, um was sie gekämpft
hat, jede Woche
stärker, jeden Tag mit neuem Mut, ohne sich auch nur eine
Minute lang
geschlagen zu geben. Jesus lobt diese Frauenrechtlerin, diese
unerbittlich um
ihr Recht kämpft. Jesus sagt: selbst wenn Gott wirklich so ein
lahmarschiger Bürokrat
und Amtsschimmel ist, wir würden ihn rumkriegen durch unser
Flehen und Bitten.
Wieviel mehr wird Gott uns erhören, wenn er kein staatlich
designierter Richter
ist, sondern ein Gott der Gerechtigkeit und noch mehr: ein Gott der
Liebe oder
noch genauer: wenn Gott selbst nichts als Liebe ist!
Selbst
im schlimmsten Fall, daß Gott nicht Liebe wäre,
sondern
Beamtenmentalität hätte, hätten unsere
Bitten um Gerechtigkeit gute Chancen. Wo
Gott aber nur Liebe ist, hat unser Flehen um Gerechtigkeit die
allerbesten
Chancen. Wenn wir es nur beharrlich und unermüdlich tun.
Nur:
geschieht uns, die wir hier heute sitzen, eigentlich soviel
Nennenswertes Unrecht? So daß es um Sein oder Nichtsein geht,
wie bei der Witwe
und dem Richter? Ja und nein. Ja: weil der mögliche Atomtod,
den die Amerikaner
jetzt uns in Europa zuschustern wollen, Unrecht bleibt, auch wenn Herr
Kohl
meint, Atomkriege seien rechtmäßig, weil bisher kein
Passus im Völkerrecht
Atomwaffen ächtet. Ob es rechtmäßig ist
oder nicht, es geht jedenfalls um unser
Überleben, und daß die Amerikaner ja keineswegs
zimperlich mit dem Leben
anderer Völker umgehen, dafür stehen die Namen
Hiroshima, Nagasaki, Korea,
Kuba, Vietnam, El Salvador, Grenada.
„Herr
schaffe mir Recht wieder meinen Widersacher“: das sind heute
nicht
mehr die Russen, die ihre Atomraketen schon seit mehr als 20 Jahren auf
uns
gerichtet haben, ohne daß etwas passiert ist, sondern das ist
das Pentagon, daß
die Strategie eines Atomkriegs entwickelt hat, wo nur in Europa
gestorben wird,
nicht aber in den USA selbst.
Der
zweite Widersacher sind unsere Autos und die Kraftwerke und
chemischen Betriebe, die die Bäume töten und unser
Land in wenigen Jahren in
einer Wüste verwandeln können. Herr, schaffe uns
recht, schaffe uns
Lebenschancen gegen die atomare Bedrohung und gegen die
Zerstörung der Umwelt.
Jesus sagte es schon: einmal bitten hilft nichts.
Und es hilft am
wenigsten die Ausrede: man kann ja doch nichts machen. Es hilft:
kämpfen.
Beharrlich bleiben, jeden Tag, jede Nacht. Immer wieder Gott bitten,
daß er uns
Recht verschafft gegen Atomtod und Umwelttot. Immer wieder die Liebe
bitten, daß
sie uns neue Lebenschancen eröffnet, und das fünf vor
zwölf. Aber wenn wir die
Liebe schaffen lassen, dann wird die Liebe uns womöglich auch
erkennen lassen,
wie wir selbst es sind, die Unrecht tun.
Unser
hochheiliger Fleischverbrauch nimmt den Ärmsten der Armen in
Indien, Brasilien und vielen anderen Regionen dieser Erde den Weizen
oder Soja,
den unser Vieh futtert. Unsere billigen Kleidungsstücke sind
für Hungerlöhne
von Thaimädchen oder Mädchen aus Bangladesch
genäht. Unsere Ananas werden von
Schwarzen in Südafrika geerntet, die weniger Rechte haben als
bei uns ein
Säugling. Wir sind allein durch unseren Konsum mitschuld am
Hunger von zwei
Dritteln der Menschen auf der Erde. Wir selbst sind die Widersacher,
gegen die
Gott den größten Teil der Menschheit Recht schaffen
müsste!
Wie
sollen wir die Geschichte von der Witwe und dem Richter nennen? Die
langsame Arbeitsweise von Gottes Gerechtigkeit? Oder vielleicht doch
hoffnungsvoller: der letztendliche Sieg von Gottes Gerechtigkeit? Oder:
die
Notwendigkeit, nicht locker zu lassen in der Forderung, im Kampf
für die
Gerechtigkeit?
Jesus
tröstet die Zuhörer seiner Geschichte. Gottes
Gerechtigkeit wird
bald kommen. Aber ob sie aufgenommen wird? Ob Menschen Gottessohn
anerkennen?
Ob Menschen die Liebe siegen lassen über den Hass, Konkurrenz
und Machtwünsche?
Jesus fragt das. Er ist sich auch nicht sicher, ob Gottes Gerechtigkeit
bei uns
ankommt. Jesu Zweifel an unserer Liebe zur Gerechtigkeit Gottes ist
berechtigt,
das zeigt unsere abendländische und globale Geschichte. Die
Geschichte zeigt
aber auch, daß nur da Gerechtigkeit siegt wo man für
sie eintritt. Amen.