Predigt über Johannes 14,15-19
Kamen-Heeren 15.5. 1983
Lieder:
108,1,2,7;
105,1,5-7;
105,2+3; 148,1+2
15Liebet ihr mich, so
haltet ihr meine Gebote. 16Und ich will den
Vater bitten, und er soll
euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch
bleibe ewiglich: 17den Geist der
Wahrheit, welchen die Welt
nicht kann empfangen; denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr
aber
kennet ihn; denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. 18Ich will euch nicht
Waisen lassen; ich komme
zu euch. 19Es ist noch um ein
kleines, so wird mich die Welt nicht mehr sehen;
ihr aber sollt mich sehen; denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.
Liebe Gemeinde!
Christus lieben heißt: seine Gebote halten. Einerseits hat Jesus eine Zusammenfassung aller 613 jüdischen Gesetzesregeln in dem einen quasi alle durchziehenden Geist dieses mosaischen Gesetzes gegeben mit dem Doppelgebot, Gott zu lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Gemüt – und seinen Nächsten wie sich selbst. Wobei das in dieser Kombination eben gerade auch heißt: Gott liebe ich am direktesten in meinem Nächsten. Und alles, was Jesus in seinem kurzen Leben angestellt hatte, war eine pausenlose Illustration dieser Maxime. So wie er seine Nächsten – und das waren wirklich die Leute, die ihm zum Anfassen nahe waren – behandelt hat, war das eine fast grenzenlose Liebe. Er heilte Kranke, soff und fraß mit Aussätzigen und Zöllnern, mit Menschen, die in der damaligen Gesellschaft außen vor waren. Er feierte beständig das Fest der Verlorenen und machte damit die sehr einseitige und eigenmächtige Vorliebe Gottes für die schwächsten Mitglieder der jüdischen Kommunität deutlich, was diese Kommunität als Lästerung ihres Jahwe empfand und quittierte. Christus lieben heißt: seinen Nächsten lieben (Matthäus 22). Eigentlich hat Jesus kein Gebot gegeben. Er hat hauptsächlich praktiziert, was für ihn das zentrale Anliegen des Gesetzes und des Willens Gottes war. Deshalb müssen wir keine Gebote wie einen Befehl halten, sondern das lebendige und unter uns gelebte und sich mit der Zeit auch im juristischen Sektor verändernde Gesetz lebt aus Vorbildern und der Urform von Liebe, nämlich der Mimesis, der Nachahmung. Also ist der Motor des liebevollen Lebens Jesu die Nachahmung der erlebten Formen der Liebe. Die Jünger haben nach Jesu Tod ebenfalls geheilt als Apostel, haben die liebevolle Seite Gottes in Geschichten erzählt und in einer einzigartigen Gütergemeinschaft gelebt, in der sie untereinander den sozialen Ausgleich gepflegt haben, der die Gerechtigkeit Gottes zur Alltäglichkeit gemacht hat.
Der andere Beistand, der Para/klhtoj der Paraklet, neben Jesus ist der Geist der Wahrheit. Johannes baut immer wieder Dualismen auf. Zwischen Welt und Wahrheit gibt es einen Dualismus, eine Kluft. Der Geist der Wahrheit und Christus. Die Welt tickt anders als Jesus. Dort geht es nach Leistungen, nach Reichtum und Macht, wobei die Reichen und Mächtigen vorwiegend von den Anderen Leistungen erwarten, die dann ihren Reichtum vermehren. Die Christen haben versucht, ihre Leistungen und Gnadengaben miteinander zu teilen wie das tägliche Brot. So ganz gelungen ist das ja nicht gerade, wenn man Bischöfe so sieht in ihren Protzbauten. Aber davon müssen wir uns ja nicht leiten und auch nicht irritieren lassen. Sie sind für uns kein Vorbild.
Das weitergehende Leben Christi im Geist der Wahrheit ist die Kraft, von der und durch die wir leben. Diese Wahrheit ist nicht einfach nur, daß man nicht lügen soll oder sich immer voll die Meinung geigen muß. Es schwingt bei dem Begriff Wahrheit auch die altiranische Tugend Aša mit, die in Täuferkreisen wie der Johannesgruppe, aus der ja Jesus hervorgegangen ist, die zentrale Lebenshaltung war. Es ist eine Aufrichtigkeit, die sich nicht verbiegen läßt. Es ist eine Basis der Nächstenliebe, nämlich: „wie dich selbst“, also die Selbstliebe ist ungemein wichtig und hat nichts mit Raffgier zu tun. Gerade klare Menschen sind ein schönes Ziel, Menschen ohne Rückgrat ham wir schon zu viel. Diese Dimension der Wahrheit ist bei Jesus ständig präsent. Es gibt nie Augenblicke, wo er kriecht oder etwas anderes sagt als er wirklich glaubt. Das Kuschen, Kriechen, sich-Verbiegen, Buckeln und Augenwischen ist Jesus völlig fremd. Man glaubt, er hat es einfach nie gelernt. Maria scheint da etwas ziemlich richtig gemacht zu haben und dafür verdient sie es, hoch gelobt und gebenedeit zu werden.
Dieser Geist der Wahrheit in uns, der nach Jesu Tod seine Funktion des Parakleten einnimmt, ist dieser Aspekt der Selbstliebe. Para/klhtoj kommt von parakale/w herbeirufen. Er ist jemand, den man herbeiruft. Zum Beispiel, wenn man in Schwierigkeiten ist. Der kommt und hilft, der einen vielleicht verteidigt gegen Attacken von anderen Menschen, der einen heilt, wenn man krank ist. Eigentlich kann man das ganze Leben Jesu als eine permanente Arbeit als Para/klhtoj betrachten. Deshalb sieht Johannes ihn als den ersten Para/klhtoj und versucht zu beschreiben, wie Jesus seine Wachablösung vorbereitet in den so sicher niemals von Jesus gehaltenen Abschiedsreden. Der Geist der Wahrheit, wie der Paraklet auch tituliert wird, umfaßt die Ganzheit all dessen, wie und was Jesus getrieben hat. Leben aus diesem Geist heraus, das ist die vollendete Form des Lebens und sie hört nicht am Kreuz auf, weder an dem Jesu noch an den vielen anderen Kreuzen, an die seither die Mächtigen dieser Welt solche Wahrheitsfanatiker aufgeknüpft haben. Die Idee der Liebe, der Selbst- und Nächstenliebe als Impuls des wahren Lebens, des richtigen Lebens, lebt und überlebt durch alle Verfolgungen hindurch, die Menschen aller Religionen zu erleiden hatten und haben, die sich rigoros und konsequent für andere einsetzen und ihnen Tröster, Beistand und Helfer sind.
Es ist eben nicht nur Jesus. Es sind wir alle und eigentlich ausnahmslos, die jetzt diese Aufgabe des Para/klhtoj übernommen haben und Nachfolger oder Nachmacher Jesu sind. Wir haben als Christen oder was auch immer wir sind oder uns nennen, die Weltverantwortung übernommen. In jeder kleinsten Begegnung finden wir Nächste, für die wir und die für uns Tröster sein dürfen. Und es ist ja nicht so, als würde man dabei was verlieren. Nein, man empfängt immer etwas zurück und darum ist es das schönste Hobby der Welt: werdet einander Para/klhtoi, dann habt ihr mehr vom Leben. Amen.