Bochum
Christuskirche und Friedenskirche 8. 8. 1982; Paulus 15.8. 82
Lieder:
192, 1 - 3; 216, 1 - 4; 216,5 - 7; 213, 3 - 5; 139
Thema:
die Trauer des Paulus über Israel, das sich der Gerechtigkeit
Gottes nicht unterordnet. Die Heilsgeschichte als
Sünden-Geschichte.
Israel's
Vorzüge:
1)
von
Gott als seine Kinder & Söhne
angenommen.
2)
Gegenwart
Gottes auf dem Zion.
3)
Bund
mit Israel-Noah und Abraham
4)
Gesetz
des Mose
5)
Gottesdienst
6)
Verheißungen
der Propheten, Abrahams
Segen Genesis 18.
7)
Christen
stammen von Juden ab.
8)
Jesus
war Jude.
9)
Erwählung
Israels
Wo
sind die Verheißungen Jahwes an Israel in Erfüllung
gegangen? Wo ist
seine Gerechtigkeit erfahrbar? Theodizee! Wo zeigt sich, dass Israel
Gott recht
ist, gerecht? Israel hat Gottes Gerechtigkeit nicht verstanden, die
sich in
Jesu Liebe zu den Sündern zeigte, hat nicht verstanden, dass
wir kein Recht
haben, gerecht oder sündig zu sprechen. Zu verteufeln. Und
wenn, dann zuerst
uns selbst.
Paulus
wirft - als Jude - den Juden die Kleinlichkeit ihres Gesetzesgebrauchs
vor. Sie erwarten, Gott recht zu sein, durch eine geradezu
bürokratisch,
pedantisch, neurotisch anmutende Treue gegenüber 613
Einzelgeboten, von denen
viele einmal gute und sinnvolle Lebensgaranten waren, ebenso viele aber
ihren
ursprünglichen helfenden Sinn durch die Veränderung
der Lebensverhältnisse
eingebüßt haben. Nicht auf die präzise
Einhaltung von Paragraphen im Wortlaut
kommt es an, das machen gewitzte Kriminelle oft wesentlich besser als
die
Polizei, sondern auf den inneren Sinn des Gesetzes, was Gott Israel
gab. Und
dieser innere Sinn ist: Leben zu schaffen, Frieden zu vermehren,
Glück
miteinander zu ermöglichen. Jesus fasst das ganze Gesetz und
die Propheten in
ein Gebot zusammen: die Liebe soll Gestalt gewinnen! Liebe zu Gott
gestaltet
sich aber in der Liebe zum Nächsten, nicht in juristischer
Bauernschläue.
Dieser Vorwurf des Paulus gegen Israel gilt sicherlich heute ebenso
für die
Kirche in Deutschland und in Bochum. Eifer, Ernsthaftigkeit haben alle.
Das spricht
ihnen Paulus gerne zu. Der selbst ein Eiferer war und ist. Aber mit dem
Verstehen, der Erkenntnis, da ist es nun doch noch etwas wenig. Paulus
wirft
den Juden vor, Jesus nicht verstanden zu haben. Jesus verstehen, seinen
lockeren Umgang mit dem Gesetz, seine Hippie Mentalität, das
kann nur der, der
den inneren Sinn der Gesetze verstanden hat, nämlich: Liebe zu
gestalten, und
der deshalb fähig und bereit ist, um der Liebe willen auch
sich über
Paragraphen hinwegzusetzen. Oder neue Paragraphen zu machen, in denen
die Liebe
besser gestaltet ist. So ist heute eine Neue Weltwirtschaftsordnung
dringend
geboten, um die Schere zwischen armen Ländern und uns Reichen
zu verringern.
Christus
ist darum das Ende des Gesetzes, weil in ihm, seinem Leben,
seinem Denken, seiner Liebe - der innere Sinn des Gesetzes
Erfüllung gewonnen
hat. Jesus ist über die Buchstaben zum Geist der Liebe hin
durchgedrungen.
Darum konnte er auch die Buchstaben brechen. Darum konnte er illegal
werden,
Verbotenes tun als Vorbote der Gerechtigkeit, die gerade die
Sünder, die
Schwachen liebt.
Israel
heute: die einst Schwachen, in unseren Konzentrationslagern
Vergasten, sind heute zu Völkermördern geworden.
Eifer ja, aber aus ihren
eigenen Leidensgeschichten zu lernen, selbst keinem mehr Leid
zuzufügen, das
haben sie nicht geschafft.
Als
Vikar traf ich in Bielefeld vor 2 Jahren einen Penner in der
Fußgängerzone. Wir kamen ins Gespräch. Er
erzählte. Von Israel, seiner Heimat.
Er war Soldat gewesen. Er hatte Araber gejagt, Ägypter abgeknallt. Er sagte, dass
er das nicht
verkraftet hat. Er ist wahnsinnig geworden mit diesem Gefühl,
ein Mörder zu
sein und von den frommen Juden im Lande als Held geehrt zu werden. Er
wurde ins
Irrenhaus gebracht. Dort kam er irgendwie wieder heraus. Seitdem irrt
er ziellos
und haltlos durch die Welt, ein Landstreicher in Europa, ein moderner
Kain, der
seinen Bruder Abel getötet hat.
Liebe
Gemeinde! Mit Sicherheit haben gerade wir Deutschen, wir, die
Henker-Nation, die Judenmörder, kein Recht, uns zum Richter
über Israel
aufzuspielen. Aber als ein Volk mit blutigen Händen
dürfen wir unsere
Erschütterung ohne jede Selbstgerechtigkeit zum Ausdruck
bringen über ein Volk,
dass sich ein Land erobert hat und die Einwohner systematisch
verdrängt und die
Palästinenser als Terroristen bezeichnet und erbarmungslos
ausrotten will. Und
damit die völlig unschuldige Bevölkerung des Libanon
ausbombt, nicht einmal vor
Krankenhäusern halt macht.
Die
Opfer von einst sind zu Henkern von heute geworden. Sie sind darin
doppelte Opfer: sie haben sich ihren Mördern in der
Erbarmungslosigkeit ihres
Vorgehens angepasst, sind nicht mehr von ihren Mördern zu
unterscheiden.
Deutsche oder Juden - ich sehe den Unterschied nicht mehr. Nur eines
dürfen wir
hoffen: dass der Zorn und die Gerechtigkeit Gottes beiden gilt, Juden
und
Deutschen. Und dass wir alle im letzten Grund von einer Art von
Gerechtigkeit
gerichtet werden, die Jesus aufgerichtet hat und die weder Juden noch
Deutsche
verdient haben: Liebe. Amen.