Bochum
Christuskirche Rogate, 16.5. 1982
"Lieblich",
liebe Gemeinde, und "mit Salz gewürzt",
so sollen wir reden, so soll der Prediger predigen, damit sich
Türen öffnen für
das Wort, Türen zu den Herzen. Türen, durch die die
frohe Botschaft weiter
geht, zu den Herzen geht.
"Lieblich
und mit Salz gewürzt" - haben Sie schon einmal etwas
Salziges lieblich gefunden? Salziges schmeckt herzhaft, aber lieblich,
das
sagen wir nur von süßen Sachen. Vom Wein
beispielsweise. Salziges ist nicht
lieblich. Liebliches ist kaum salzig. Was tischt uns denn da der
Apostel auf?
Will er uns den Appetit verderben?
"Allezeit
lieblich " - heißt es dabei sogar noch! Sind wir
nicht sofort auf der Hut vor denen, die ihre
berufsmäßig fingierte Güte und Nettigkeit
ausfahren, die das allzeit bereite Lächeln auf den Lippen
haben? Sind wir nicht
schon von vornherein mißtrauisch, daß die
süßen Lippen uns nur die sauren Äpfel
schmackhaft machen wollen, an denen wir uns dann alle Male die
mürben Zähne
ausbeißen? Ist nicht das "allzeit liebliche" Wort eine
Abwehrmechanismus, mit dem wir selbst uns zu gerne von harten
Auseinandersetzungen drücken, mit dem wir dem Druck der
Situation einfach nur
ausweichen, statt ihm zu begegnen und standzuhalten?
Und
dann noch "salzige" Rede. Nicht drumherum Gerede. Wie soll
man das machen: allzeit lieblich reden, aber gesalzen und gepfeffert,
so daß es
sitzt? Und wenn es sitzt, bleibt dann noch etwas von der Lieblichkeit?
Ist das
zu Herzen gehende Worte noch lieblich? Doch ja, denken wir an das Wort
der
Lebenden. Der Satz: ich liebe dich, beispielsweise. Der trifft. Der
trifft ins
Herz. Der läßt das herzlos klopfen. Vorfreude oder
vor Beklemmung. Da kommt ein
Wort wirklich an. Worte der Liebe. Von liebenden gesagt. Und wenn so
ein Wort
der Liebe erwidert werden kann - Ich dich auch. - dann
ist diese Situation der Liebeserklärung
weiß Gott das lieblichste, was uns passieren kann. Und dieses
Wort ist wahrhaft
gesalzen, steckt voller Pfeffer.
Ich
liebe dich - das Wort der Liebe ist lieblich und gesalzen zugleich.
Und wenn Gott selbst die Liebe ist, dann wäre
womöglich die gesalzene Rede von
Gott, wäre unsere Verkündigung zuletzt doch noch
lieblich, lieb-lich, also voll
von der Liebe selbst, von der wir reden wollen? Lieb-lich, also Liebe
finden
wollen und Gegenliebe suchend? Lieblich, Fall von Liebe, auf der Suche
nach
Liebe. Von Gott erfüllt und auf der Suche nach Gott. Nach dem
Gott, der die
Liebe ist, und den wir in dieser Welt voll von Haß und
Grausamkeit so wenig
wiederfinden. Dessen Liebe selbst wir nur finden am Kreuz, hingerichtet
für
uns. Lieblich - das ist schmerzlich zugleich: es ist das Bangen der
Liebenden,
die Geliebte oder der Geliebte möge seinem
Begehren entgegenkommen. Es
ist das Bangen Gottes um die Welt, die sich von ihm abgewendet hat und
eigene
Wege sucht und immer wieder nur die Lieblosigkeit findet und immer neue
Lieblosigkeiten erfindet. Die Liebe lebt im Schmerz. Gott ist uns als
der
Gekreuzigte, als das Kreuz der Liebe gegenwärtig.
Und
selbst Paulus, der Apostel, er schreibt aus dem Gefängnis,
leidet um
der Botschaft von Gottes Gnade, dem Geheimnis Christi willen. Liebe
macht
leiden. Liebe leidet. Das ist die Lieblichkeit, die das Salz der Erde
ist: die
Tränenflut der Opfer, die ihre Liebe nicht erwidert finden,
die auf Granit
beißen, die die sauren Äpfel kauen. Der Ort der
Lieblichkeit des Apostels ist
das Gefängnis. Der Ort der Lieblichkeit Gottes ist - in einer
Welt voller Haß -
das Kreuz. Warum haben unsere Künstler die Kreuze in der
Kirche immer so schön
gemalt?
2.
Vom Beten
"Verharrt
im Gebet" - ist das nicht gerade der Vorwurf vieler
gegen uns Christen: wir seien verharrt im Gebet, wo es Taten gegolten
hätte? Wo
jemand seine Stimme erheben müßte gegen das Elend
und die Lieblosigkeit, da
erheben also Christen ihre Stimme zum Gebet und Dank. Welche Arroganz
und
Gleichgültigkeit gegenüber dieser Welt! Viele sind
resigniert, hoffnungslos, no
future, Hauptsache Farbfernseher mit Fernsteuerung. Einige sind in den
Kampf
gezogen gegen das Unrecht - und haben dabei lernen müssen,
über Leichen zu
gehen. Und die Christen? Sie beten. Wie lieblich! Sie beten. "Tobe Welt
und springe, ich stehe hier und singe in ganz sichrer Ruh." Nichts haut
einen Seemann um und erst recht keinen Christen. Beten so die Christen?
Gehen
wir die drei Möglichkeiten noch einmal durch: die ersten haben
resigniert. Sie glauben nicht mehr daran daß man etwas
ändern kann an der
ungerechten Einrichtung der Welt. Sie erleben die eigene Ohnmacht und
lassen
die Köpfe hängen und werden dann erst so richtig
ohnmächtig. Sie verzichten auf
eine bessere Welt, nehmen darum dann zynisch mit der Schlechtigkeit
vorlieb und
werden selbst sehr schnell so schlecht für die Welt.
Die
zweiten haben Recht in ihrer Hoffnung, daß die Welt nur durch
Kampf,
durch vollen Einsatz der Einzelnen für die Gerechtigkeit zum
Besseren zu wenden
wäre. Aber im Kampf verlieren Sie das Bessere selbst aus den
Augen, denn der
Kampf hat seine eigenen grausamen Gesetze, die blind machen
für das mögliche
Recht des Gegners. Sowohl die Resignierten als auch die
Kämpfenden, beide
stehen in der Gefahr, die bessere Einrichtung der Welt, Frieden,
Freiheit,
Gerechtigkeit, vor lauter Lamento oder Wut über die
Lieblosigkeit dieser Welt
aus den Augen zu verlieren.
Ich
sage jetzt nicht, wir Beter haben das geschafft. Wir machen das
besser. Ich sage heute nur und das am Sonntag Rogate: "bittet, betet
" - was beim Beten uns vor den Gefahren der Resignation und der
kämpferischen Kälte beschützen kann.
Beten
heißt: Wissen, daß wir nichts mehr tun
können. Daß unsere
Möglichkeiten am Ende sind. Paulus sitzt im
Gefängnis. Da kann keiner der
Schwestern und Brüder Einfluß nehmen und ihn
rausholen. Unsere Möglichkeiten
sind am Ende. Das gibt es erstaunlich oft. Wir sind keine
Herrgötter, nicht
allmächtig. Wenn wir nichts mehr tun können, dann
lehrt uns Not beten. Dann ahnen
wir, daß, wenn auch wir nichts mehr tun können, doch
noch etwas getan werden
kann, dann lassen wir Gott tun. Wie schwer es fällt, einen
anderen etwas tun zu
lassen, es sich abnehmen zu lassen. Vielleicht aus Angst vor der
scheußlichen
Demut der Dankbarkeit, dem unerträglichen
Bewußtsein, daß wir ohne den anderen
nicht das wären, was wir sind? Beten heißt: nichts
mehr tun können. Gott allein
tun lassen. Ich sagte vorhin: Gott ist Liebe. Wenn das trifft,
heißt beten:
allein der Liebe das Tun überlassen. Glauben, daß
nur die Liebe und nur die
Liebe über die Lieblosigkeit der Welt siegen wird. Damit hat
das Gebet gegen
alle Resignation und Ohnmacht Hoffnung auf die Macht der Liebe, in
deren Dienst
das Beten sich selbst stellt. Und damit hat das Gebet gegen alle
kämpferische
Kälte die Lieblichkeit des Vertrauens und der Wärme
in Erfahrung behalten. Und von
dieser Lieblichkeit der Liebe Gottes und des Gebets und der heilenden
Macht des
Gebets für die Beter selbst - wird entscheidend der Bau einer
besseren, einer
lieblichen und liebenswerten Welt abhängen. Amen.