Was
von Anfang an war was wir
gehört haben was wir gesehen haben mit unseren Augen; was wir
sahen und unsere Hände berührten in bezug auf das
Wort des Lebens. Und Leben kam zum Vorschein und wir sahen es und
bezeugen es und verkünden euch das ewige Leben welches beim
Vater war und uns zum Vorschein kam. Was wir gesehen haben und
gehört haben verkünden wir auch euch, damit auch ihr
Gemeinschaft habt mit uns und Gemeinschaft ist uns mit dem Vater und
mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir, damit unsere
Freude erfüllt werde.
So schreibt ein Prediger der frühen Kirche. So beginnt er
seinen Brief, der vermutlich an Gemeinden in Kleinasien geschrieben
ist. Die christlichen Gemeinden werden wie eine kleine, radikale
Minderheit politisch verfolgt zu jener Zeit. Man versucht mit allen
Mitteln, sie ins Abseits zu drängen. Der Brief ist nicht an
eine Volkskirche wie die unsrige addressiert, sondern kursiert in einer
spirituellen Subkultur. ’Wenn die Leute damals schon das Wort
Sekte gekannt hätten, hätten sie vor den Christen als
einer gefährlichen Sekte gewarnt. - Aber auch im inneren
dieser Sekten gab es Streit. Streit um die rechte Lehre, also Streit um
Worte, genauer: um das Wort, nämlich das Wort des Lebens.
Wortgefechte um das Wort des Lebens gingen quer durch die eigenen
Reihen der Kämpfer Christi. Die einen sagen: Christus, der
Gottessohn kann doch unmöglich so ein stinknormaler Mensch wie
wir alle gewesen sein. Wie hätte er uns denn als
gewöhnlich Sterblicher erlösen können?
Deshalb war sein Erdenleben, sein körperliches Dasein nur eine
Larve, in der Gott zu uns kam wie der Bischof im Mercedes. Der
Körper Jesu war nur der Mercedes des Gottessohnes Christus, in
dem Christus durch die böse Welt gefahren ist. Die wahre Form
des ewigen Lebens hat mit Leiblichkeit so wenig zu tun wie eine Kuh mit
Klavierspielen. So die einen. Die anderen, und zu denen gehört
auch der Schreiber des ersten Johannesbriefs, haben das energisch
bestritten: Sie bekennen sich zum historischen Jesus. Zu Jesus, der
ohne den Bischofsmercedes des Fleisches kam, weil das Fleisch nicht nur
Karrosse war, sondern zu Christus, dem Gottessohn, so
unablösbar dazugehört wie zur Kuh der Schwanz.
Der Prediger des Johannesbriefs betont in seinem Manifest die
Fleischlichkeit Jesu Christi. Christus, das Wort des Lebens, kann man
hören, sehen und anfassen. Christus ist sinnlich da oder gar
nicht. Er ist kein höheres Wesen, keine reine Geistgestalt,
die man nur verehren kann durch mystische Versenkung, durch
schöne Worte, durch reine Geistigkeit, durch
Schöngeisterei. Christen bekennen nicht Gott als Vergeistigung
und Absage an alles irdische, sondern genau umgekehrt: Sie bekennen,
daß Gott, daß das Wort des Lebens, daß
der gute Geist der Liebe zu ganz handfestem, kräftigen Fleisch
geworden ist. Wie handfest, das malt uns die Weihnachtsgeschichte aus:
Gott ist als kleiner Junge, als Baby in Bethlehem in irgendeinem
Saustall oder Schafstall geboren worden. Mitten hinein in die Welt der
Armen. Und Gott ist dann in der Welt herumgewandert, in seiner kleinen,
armen Welt von Galiläa bis Jerusalem. Und Gott hat es nicht
bis zum Beamten gebracht, Gott ist kein Hofprediger für
feinere Herrschaften geworden. Gott ist ein kleiner bescheidener
Lebenskünstler gewesen. Und damit hat er gewonnen. Ich stelle
mir vor, einige unter uns ärgern sich jetzt ein
bißchen, weil ich Gott, den Allmächtigen, so gering
mache und so einseitig in die Welt der Armen hineinstelle. Ich rede zu
wenig von Gottes Macht und Herrlichkeit, die uns arme Sünder
erlöst. Nur ein starker Gott kann unserer Schwachheit
aufhelfen. - Dagegen sage ich: Wer von der wunderbaren Herrschermacht
Gottes singt, muß auch sagen, wo sie sich zeigt, und sie
zeigt sich in Jesus, in einem frierenden kleinen Häuflein
Elend in einer Krippe im Stall. Da ist Gott Fleisch, nicht im Jubelchor
der himmlischen Chöre. Wo kam die Herrlichkeit des ewigen
Lebens zum Vorschein? Nicht nach dem Tod, nicht in der
religiösen Ekstase frommer Gottesdienste, sondern in einem
Futtertrog. Das zerstört erstmal die frommen Illusionen
über einen himmlischen Supermann. Solche Sehnsüchte
haben wir alle wohl irgendwie. Sonst gäbe es nicht die
Superman-Comics, die Westernhelden James Dean, Charles Bronson und John
Wayne, den 007-Helden James Bond und vielleicht auch nicht den Herrn
Pfarrer als Solosänger auf der Kanzel. Die menschlichen
Sehnsüchte richten sich auf Helden, auf starke
Männer, auf Gottes Allmacht. Es tut uns gut, zu wissen,
daß der Allmächtige unser Leben lenkt. Es macht uns
ängstlich, gesagt zu bekommen, daß Gott eben auch
nur ein Mensch gewesen ist, noch dazu einer, der kein Held war, kein
politisch großer, kein Philosoph, sondern ein hilfloses Baby.
Die mittelalterlichen Maler haben das nicht verkraften können;
sie hatten dem Baby Jesus noch schnell eine Weltkugel in den Arm
gemalt, mit der der Säugling lässig spielt. Das Wort
ward Fleisch: Das heißt eben nicht, Jesus kam als
Spitzensportler im Kugelstoßen mit Planeten zur Welt, sondern
als erbärmlich schwaches ganz einfaches Kind. Im Fleisch des
Jesusbabys wurde Gott geboren. Der Sohn Gottes ist nicht eine
minderwertige Mischform aus Gott und Mensch, sondern ist so
völlig Gott, daß es daneben nicht noch einen zweiten
Gott, den Gottvater im Himmel gibt. Das ist die Logik des
Johannesevangeliums, wo Jesus sagt, ich und der Vater sind eins. Das
ist der Logos, auf deutsch: das Wort, das am Anfang bei Gott war und
nicht nur bei Gott, sondern Gott selbst. Der Johannesbrief-Schreiber
nennt dieses Wort das Wort des Lebens. Oder er wählt das Wort
„ewiges Leben“. Gott ist ewiges Leben. An Jesus,
dem Lebenskünstler, zeigt sich Gott als Logos des Lebens, als
Wort, als Lehre vom richtigen Leben. Und davon predigt der
Johannesbrief. Jesus Christus, das Wort des Lebens, der Logos des
Lebens, der Lehrer des Lebens, der Künstler des Lebens, hat
den Jüngern Lebensgeschichten erzählt: man konnte ihn
hören. Er hat Kranken und Notleidenden geholfen: man konnte
ihn sehen. Er hat die Kranken berührt, hat mit den Kindern
geschmust, hat sich Kopf und Füße massieren und
parfümieren lassen, hat den Jüngern die
Füße gewaschen, ist gehenkt worden: man konnte ihn
anfassen. Man konnte. Aber er ist weg. Geblieben sind seine Geschichten
vom richtigen Leben, ist die Geschichte seines Lebens und einige
Ratschläge für werdende Lebenskünstler.
Geblieben sind nur Worte. Geblieben ist die Bibel als
Hinterlassenschaft Christi, als Testament. Geblieben sind aber auch
seine Hinterbliebenen, seine Schüler in der Kunst des Lebens.
Und die haben sich weiter seine Geschichten erzählt, haben
sich weiter beratschlagt in Lebensfragen - ganz einfach: die haben
zusammen gelebt. Und die konnte man wiederum hören und sehen
und auch anfassen, weil die nämlich auch mit angefasst haben,
wo es nottat. Und so ist das Wort des Lebens unter Menschen geblieben
und Fleisch geblieben. Und sie sagen es weiter und in jedem
Hörer und Zuschauer, der anfängt, mit anzufassen,
wird das Wort wiederum ein kleines Stück Fleisch mehr. Wer
Schüler in dieser Lebenskunstschule werden will, sagt der
Johannesbrief, ist verpflichtet, auch selbst so zu leben, wie Jesus
gelebt hat . Und die Erleuchtung, die den
Schülern dabei kommt, ist das Licht der Welt, das unter keinen
Scheffel gehört, sondern frei und warm ausstrahlen will. Und
die Wärmestrahlung der begriffenen Lebenslehre Jesu ist die
Liebe in aller Fleischlichkeit, die Jesu Schüler eigen ist.
Und wer von solcher Wärmestrahlung erwärmt wird, wer
auftaut aus den eisigen Verhärtungen des finsteren Alltags,
wem ein Licht aufgeht von dem Leben, was durch Jesu Praxis zum
Vorschein kam, der kann vor Freude strahlen, der kann wie Jesus lachen
und feiern gemeinsam mit den Brüdern, die ihn lieben und die
er liebt. Und überall, wo heute im Sinne Jesu gelacht und
gefeiert wird, da scheint wie die Weihnachtsbaumkerzen etwas von Gottes
Licht durch und umschließt die Festgemeinschaft und
bestärkt sie in ihrer Erprobung und Übung des
richtigen Lebens. Wenn man so will, sind christliche Festgemeinden
heute aufgerufen, wieder auf diesen Kurs zu gehen: sie
erfüllen die Fleischwerdung Gottes, indem sie zur Tiefe der
menschlichen Existenz weiter vordringen. Sie könnten
Forschungs- und Experimentiergemeinschaften werden auf der Suche nach
gutem, liebevollen und erleuchteten Leben. Christliche Festgruppen sind
Wandervereine in die Tiefe menschlicher Möglichkeiten. Als
Methode haben sie Träume von einer Welt ohne Haß und
Feste als Probezeiten für gemeinsames Leben, gemeinsame Liebe
und gemeinsame Freude. So könnten wir Weihnachten gefeiert
haben als Probezeit des ewigen Lebens. Und weil wir damit nicht so
schnell zuende kommen werden, erzähle ich noch ein
Märchen von den Brüdern Grimm, was uns gespannt
machen soll auf das, was noch kommen kann.
Der goldene Schlüssel
Zur Winterszeit, als einmal ein tiefer Schnee lag, mußte ein
armer Junge hinausgehen und Holz auf seinem Schlitten holen. Wie er es
nun zusammengesucht und aufgeladen hatte, wollte er noch nicht nach
Haus gehen, sondern erst Feuer anmachen und sich ein bißchen
wärmen. Da scharrte er den Schnee weg, und auf dem Erdboden
fand er einen kleinen goldenen Schlüssel. Nun glaubte er, wo
der Schlüssel sei, müsse auch das Schloß
dazu sein. Er grub in der Erde und fand ein eisernes Kästchen.
Wenn der Schlüssel nur paßt! dachte er, er sind
gewiß kostbare Sachen in dem Kästlein. Er suchte,
aber es war kein Schlüsselloch da. Endlich entdeckte er eins,
aber so klein, daß man es kaum sehen konnte. Er probierte,
und der Schlüssel paßte. Da drehte er einmal herum,
und nun müssen wir warten, bis er vollends aufgeschlossen und
den Deckel aufgemacht hat. Dann werden wir erfahren, was für
wunderbare Sachen in dem Kästchen lagen."
Ich wünsche uns allen, daß wir unter dem tiefen
Schnee unserer Verdrängungen und Verhärtungen den
goldenen Schlüssel zur Schatztruhe des richtigen Leben? der
Liebe und des Glücks finden. Ich wünsche uns goldene
Träume als Schlüssel, kluge Beratungen auf der Suche
nach dem Schlüsselloch, und eine riesige Neugier auf das, was
wir an Schätzen des ewigen Lebens in der Festgemeinschaft der
Jesusschüler zum Vorschein bringen können. Amen.