Predigt
zum 17. Sonntag nach Trinitatis, 21.
September 75
gehalten in der Thomaskirche Oldenburg Ofenerdiek
von Michael Lütge, Jutta Tiletzek, Karin, Andrea und Beate
Zum
Impressum
Text: Mt 15, 1 - 11 und 18-20
Da kam zu Jesus eine Kommission von Strenggläubigen und
Theologen. Sie sagten: ”Warum übergehen deine
Schüler die Sittenregeln der Älteren? Sie waschen
sich nämlich nicht die Hände, wenn sie Brot
essen.”
Jesus nahm das auf und sagte zu ihnen: Und: Warum übergeht ihr
das Gesetz Gottes mit euren Sittenregeln? Denn Gott hat gesagt: Ehre
deinen Vater und deine Mutter. Und: Wer böse redet von Vater
und Mutter, soll sterben.
Ihr aber sagt: Wer zum Vater oder der Mutter sagt: ’Was immer
du von mir an Nutzen haben könntest, bestimme ich hiermit als
Opfergabe für den Tempel’, der braucht seinen Vater
oder seine Mutter nicht zu ehren.
So setzt ihr durch eure Sittenregeln Gottes Wort außer Kraft.
Ihr Heuchler, treffend sagt über euch Jesaja die Wahrheit,
wenn er spricht: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, ihre Herzen aber
halten sie fern von mir. Doch vergeblich verehren sie mich, damit,
daß sie als Lehren die Gebote von Menschen lehren.1
Und er rief den Leuten aus dem Volk zu und sagte ihnen:
„Hört einmal her und denkt drüber nach:
Nicht was in den Mund hineinkommt, macht den Menschen unrein, sondern
was aus dem Mund herauskommt, das macht den Menschen unrein. (...)
Denn was aus dem Mund kommt, kommt aus dem Herzen, und das macht den
Menschen unrein. Aus dem Herzen kommen nämlich: Böse
Gedanken, Mord, Ehebruch, Verkauf von Sexualität, Diebstahl,
Verbreiten von Lügen und üble Nachrede. Das ist es,
was Menschen unrein macht. Essen mit ungewaschenen Händen aber
macht keinen Menschen unrein.”
Anmerkung: „Unrein“ kann auch mit
„Unsozial” übersetzt werden.
Predigtgespräch
Karin - Eigentlich ist es für uns doch eine
Selbstverständlichkeit, sich die Hände vorm Essen zu
waschen. Mit Frommsein oder nicht hat das doch gar nichts zu tun!
Micha - Das stimmt. Die Reinheitsregel, um die es hier geht, hat andere
Gründe als das Händewaschen bei uns. Es ist nicht
hygienisch gemeint, als saubere Finger, sondern ist eine
religiöse Zeremonie. Man wusch sich auch nicht mit Wasser und
Seife die Hände, sondern drehte eine Faust in der jeweils
anderen Handfläche hin und her. Das macht man beim Beten vor
und nach dem Essen. Das Essen, was ja als Gabe von Gott angesehen
wurde, sollte in reinem Zustand gegessen werden.
Beate - Also kann man sagen, daß das jüdische
Händewaschen unserem Händefalten bei Gebet
entspricht, ja?
Jutta - Würde ich sagen. Bei den Israeliten hatten sich
unzählige solcher kleinen Vorschriften entwickelt. In der
Parallelstelle zu unserem Text bei Markus werden sogar noch welche
aufgezählt. Zum Beispiel: wenn jemand vom Markt kam, also sich
mit seinem Gewerbe abgegeben hatte und dicke Geschäfte gemacht
hatte, mußte er sich rituell reinigen. Oder die
Samaritergeschichte, wo Priester und Levit einfach an dem verletzten
Opfer des Raubüberfalls vorbeigingen, dahinter steckt das
Problem, daß das Anfassen von Leichen, Verletzten und Kranken
einen unrein macht im Kultleben. Priester und Levit hätten
dann ihren Tempel- dienst wochenlang nicht ausüben
können, bis sie durch die langwierige Reinigungsprozedur
wieder kultisch rein geworden wären. Und kultisch rein sein
heißt: am Tempelleben und dem Leben der Gottesdienstgemeinde
teilnehmen können, vor allem auch: vor Gott angemessen
dastehen können.
Karin - In unserer Zeit wäre ein Beispiel dafür aus
der Ehe: Daß sich die Partner vorher duschen, wenn sie
zusammenkommen, uns so ihre Bereitschaft für einander zeigen.
Jutta - Genauso ist es ja auch mit dem Verhältnis von uns zu
Gott, wenn wir unsere Bereitschaft für ihn zum Ausdruck
bringen, indem wir uns schön anziehen.
Micha - Oder einen Talar anhaben. Jedenfalls war das
Händewaschen der Juden beim Essen Ausdruck der Bereitschaft
für Gott und drückte auch vor den anderen Leuten aus,
daß man sich als von Gott Beschenkter verstand, beschenkt mit
Essen.
Beate - Aber die Jünger hatten doch mit dieser Sitte
gebrochen! Warum eigentlich?
Andrea - Genau das fragte Jesus doch auch die Kommission von Theologen
und die Pharisäer, die alle zu Jesus gekommen waren.
Micha - Die Pharisäer waren ja eine religiöse
Volkspartei, die er sehr genau nahm mit der korrekten Einhaltung aller
kultischen und rituellen Vorschriften. Für sie galt als
Interpretation der Tora, also der 5 Bücher Mose, die
für die Juden als verbindliches Gesetz Gottes galt, eine Menge
von Zusatzgeboten, durch die das Leben auf Schritt und Tritt geregelt
war und dadurch eingeengt. Der Ausdruck ’ Sittenregeln der
Älteren’ im vorliegenden Predigttext meint also
diese Zusätze zur Tora, diese Zusatzgebote, die alles bis ins
kleinste vorherbestimmten, auch das rituelle Waschen der Hände
vorm Essen.
Beate - Die Pharisäer nahmen dann aber ihre
Frömmigkeit auch sehr ernst, wenn sie ein so streng geregeltes
Leben auf sich nahmen, und das darf man nicht einfach
übersehen, finde ich.
Jutta - Kommen wir zum Text zurück: In Jerusalem war der
Tempel und auch die oberste Behörde der Juden. Und die hatten
als Aufsichtsorgan auch auf die Einhaltung der Gesetze zu achten,
sowohl der religiösen als auch der politischen, die man nicht
trennen konnte.
Beate - Es ist jetzt aber nicht ganz klar, ob die theologische
Kommission schon über das abweichende Verhalten der
Jünger Jesu informiert war, oder ob sie zufällig
vorbeikamen und da erst sahen, daß die
Jünger’ mit den Reinheitsvorschriften gebrochen
hatten. Markus stellt es so dar, daß die Jünger von
dieser Kommission auf frischer Tat ertappt werden.
Andrea - Ist auch nicht so wichtig.
Karin - Man könnte übrigens dieses Verhalten der
Theologen mit dem Verfassungsschutz vergleichen. Sie haben
überall ihre Finger zwischen und bekommen alle
Veränderungen des öffentlichen Lebens mit. Und so
schlimm wie die Überwachung der Studenten, die in den
öffentlichen Dienst eingestellt, als Lehrer werden wollen,
oder jetzt auch wieder bei Pfarrern, die als links gelten, war wohl
dann auch die jüdische Volksüberwachung.
Andrea — Man kann die Worte der Theologen und der
Pharisäer zu Jesus dann entweder als eine Art Verhör
betrachten, weil sie ja den Grund der Gesetzesübertretung
wissen wollen, oder es ist eine Anklage, die sie vorbringen.
Karin - Ich glaube, es ist beides, Anklage und Verhör, bei
Markus werden sie ja dazu noch auf frischer Tat ertappt.
Micha - Aus anderen Stellen der Evangelien wissen wir ja, daß
die Pharisäer und Theologen Jesus umbringen wollten, weil er
das Volk in Unruhe brachte, ihm einen Prozeß wegen
Gotteslästerung machen wollten. Dann hat diese Begebenheit in
unserem Text also den Stellenwert von Ermittlungen für einen
geplanten Prozeß.
Jutta - Die Jünger sehen das übrigens ganz deutlich
und scheinen auch Angst zu haben. In Vers 12 bei Matthäus
sagen sie zu Jesus, als das Verhör abgebrochen ist: .
Weißt du, daß die Pharisäer
Anstoß genommen haben, als sie das Wort hörten?. Sie
haben Angst vor einem Prozeß, genau wie sie aus Angst bei
Jesu Gefangennahme in Gethsemane alle Wegrennen. Jesus hat keine Angst.
Beate - Jesus hätte im Grunde die Anklage der theologischen
Kommission auch ganz anders beantworten können. Er
hätte sich zum Beispiel entschuldigen können
für seine Jünger und sagen, es soll nicht wieder
vorkommen. So hätten wir bestimmt reagiert, um uns nicht ins
Fettnäpfchen zu setzen.
Karin - Und es ist auch die Frage, was das überhaupt
für Jesus und die Jünger gebracht hat, denn sie
halfen doch niemandem damit, daß sie sich die Hände
vorm Essen nicht mehr gewaschen haben.
Micha - Ich glaube, daß dahinter mehr steckt als
bloßer Trotz gegen die starren Gesetzesvorschriften der
Juden. Aber das heißt nicht, daß es nicht auch
Trotz war und Protest gegen ein Gesetz, was Menschen unfrei macht und
ihr Leben in Schachteln abfüllt, jede Schachtel ist ein
Gesetz. Warum gerade beim Bruch mit den Reinheitsregeln der Konflikt
einsetzt, hat was mit dem Reinheitsprinzip zu tun. Reinheit als
Bereitschaft für Gott setzte die Beziehung des Frommen zu Gott
vom sonstigen Leben ab, was sich mit unreinen Kranken, mit
Geschäft und Beruf und mit der Natur befaßte.
Dadurch entsteht eine Trennung des Lebens in zwei Bereiche, auf der
eine Seite das reine Leben, im Tempel und mit dem Bewußtsein,
auf Gott bezogen zu leben, auf der anderen Seite der Alltag mit Dreck,
Schweiß und Arbeit, die schmutzige Hände macht.
(Profanität - Sakralität)
Jutta - Was heißt denn das jetzt in dem Wort, was Jesus an
alle richtet, die bei ihm sind und womit er zugleich
ausdrückt, wie unwichtig für ihn das Verhör
der theologischen Kommission ist. Er sagt ja, nachdem er alle zum
Aufpassen und Nachdenken aufgefordert hat, . Nicht was in den Mund
hineingeht, also das Essen, macht den Menschen unrein, sondern was aus
dem Mund rauskommt, also Worte, die jemand sagt und die aus seinem
Herzen, aus seinem Inneren kommen.
Beate - Jesus sagt damit, daß von außen den
Menschen nichts unrein machen kann, daß Alltag, Natur und
Essen nicht verunreinigen. Oder anders gesagt, wenn Reinheit
Bezogensein auf Gott ist, daß weder Alltag, Natur noch Essen
den Menschen von Gott entfernen können.
Andrea - Oder allgemeiner gesagt, daß die ganze strenge
Einhaltung der jüdischen Gebote einen Menschen auch nicht
näher zu Gott bringen.
Beate - Ist eigentlich der Mensch dann von innen heraus unrein? Jesus
sagt, daß aus dem Herzen böse Gedanken und
Verbrechen kommen.
Karin - Von außen, von der Natur, vom Alltag, vom Essen
bekommt man nach Jesus jedenfalls keine bösen Gedanken.
Micha - Ich meine aber, daß Menschen nicht von sich aus
böse sind. Sonst müßte ein ganz kleines
Baby schon ein Sünder sein und böse Gedanken haben,
es müßte Mordgelüste haben, sich nach
Ehebruch und Nutten sehnen und Lügen verbreiten. Und ob ein
Mensch das tut, das hängt doch wirklich unheimlich stark von
der Umgebung ab, in der er aufgewachsen ist. In Familien, wo Mutter auf
den Strich geht, Vater säuft, da sind in der Regel die Kinder
aus lauter Unglück bald auch nicht viel besser, der Junge
klaut und ist in einer Bande, die Tochter steht auch schon mit 15 auf
dem Strich. Und ich möchte den sehen, der jetzt kommt und
sagt, das sei alles schon in den Kindern dringewesen.
Jutta - Man muß jedenfalls gegen ein beliebtes
Mißverständnis dieser Stelle sagen, daß
Jesus nicht behauptet, das Böse entspringe im inneren von
Natur aus und die Natur des Menschen sei von Grund auf böse.
So dumm war Jesus nicht. Das Böse vererbt sich durch die
Geschichte menschlichen Zusammenlebens, man nennt das
Erbsünde, und die kleinen unschuldigen Kinder werden erst
böse, und zwar durch ihre Erziehung in Familie, Schule,
Freundeskreis, Militär und Beruf.
Karin - Leute, wir müssen mal wieder zum Text kommen. Wir
haben uns noch gar nicht um den Gegenbeweis von Jesus
gekümmert, den er dieser Kommission vorhält, als sie
ihn wegen dem Bruch mit den Reinheitsvorschriften anklagt und
verhört.
Micha - Jesus wirft da den Pharisäern das gleiche vor, wie die
ihm: Ungehorsam gegen das Gesetz. Er bringt zum Beweis ein Beispiel:
Das 4. Gebot und ein Gebot, was auch im 2. Buch Mose steht, etwas
später. Gott fordert ohne Einschränkung,
daß man seine Eltern verehren soll. Jetzt haben die Juden da
eine Ausnahmeregel dazugedichtet, die wahrscheinlich
ursprünglich für den theologischen Nachwuchs bestimmt
war. Man konnte nämlich mit einem Gelübde sein ganzes
Hab und Gut und sogar sich selbst dem Tempel als Opfergabe weihen und
dann war man frei von den Verpflichtungen gegenüber den
Eltern, brauchte ihnen nicht mehr gehorchen und konnte frei
über das eigene Vermögen verfügen.
Andrea - Damit haben die raffinierten Kinder der Juden ja eine
gesetzlich erlaubte Möglichkeit, nicht mehr nach dem 4. Gebot
leben zu müssen.
Beate - Und das heißt doch, daß das 4. Gebot nicht
mehr in vollem Umfang gilt, weil jeder dieses Gelübde leisten
kann und dann frei ist.
Andrea - Jesus wirft also den Pharisäern vor, daß
sie den Geltungsumfang des 4. Gebots einschränken und die
volle Geltung außer Kraft setzen.
Jutta - Und das 4. Gebot, daran war kein Zweifel, wird als Gottes Wort
erfahren. Insofern hat Jesus recht, daß die
Pharisäer mit ihren Zusatzgesetzen zur Torah die Torah selbst
übertreten, also die Interpretationen von Gottes Wort in
Wirklichkeit Gottes Wort mißachten.
Karin - Wenn die Pharisäer also die Verhaltensweisen der
Jünger mit ihren Zusatzgesetzen und Gesetzesinterpretationen
aburteilen, so stellt Jesus sich über die Theologen und
Gemeindefrommen, indem er sie mit Gottes Wort kritisiert.
Micha - Problematisch dabei ist allerdings, was Gottes Wort ist. Denn
hier nimmt ja jede von beiden Parteien, sowohl Jesus als auch die
theologische Kommission, in Anspruch, das Verhalten der jeweils anderen
mit Gottes Wort zu kritisieren.. Unsere kirchenpolitische Situation ist
ganz ähnlich. Wir werfen uns gegenseitig oft auch vor, die
jeweils anderen handeln nicht nach Gottes Wort. Dio Evangelikalen
werfen es den ökumenisch orientierten vor, die einen sagen,
nichts sei wichtiger, als Gottes Ruhm zu verherrlichen, die anderen, zu
denen auch ich mich zähle, sehen die einzige
Möglichkeit dazu in Diakonie und zwar auch politischer
Diakonie, und das geht in der Praxis leider bis zur finanziellen
Unterstützung von Befreiungsbewegungen in der 3. Welt.
Man könnte von dieser Auseinandersetzung vielleicht
für unsere Konflikte lernen, daß wir nicht
weiterkommen, indem jeder der Gegenseite den Glauben abspricht. Denn da
wären wir genauso wie die Pharisäer, die aus
Superfrömmigkeit ins Gegenteil geraten, nämlich gegen
Gott handeln.
Beate -Darauf zielt doch auch der Vorwurf der Heuchelei, den Jesus den
Frommen macht9 die mit ihren strengen Riten und Gesetzen meinen, Gott
zu ehren und es in Wirklichkeit gar nicht tun, weil sie nicht mit dem
Herzen dabei sind.
Karin - Und auch das korrekteste Einhalten von Geboten wir zur
Heuchelei, wenn man es nicht von Herzen tut, wenn man mit anderen
Worten nicht Lust hat dazu. Jesus bringt da einen Vers von Jesaja, in
dem Gott sich drüber beklagt, daß sein Volk nach
außen hin, mit den Lippen, Verehrung und Gottesliebe zeigt,
daß dahinter aber die Herzenslust fehlt.
Jutta - Gehorsam kommt von 'Horchen, 'Hören'. Es hat was mit
Aufmerksamkeit zu tun und mit Gespräch zu tun, zumal wenn es
Gehorsam gegenüber Gottes Wort ist. Gehorsam heißt,
auf Gottes Wort antworten. Gott will, daß unsere Anwort zu
ihm aus dem Herzen kommt, aus Lust, aus Bedürfnis. Das erst
wäre richtig verstandener Gehorsam; den Wunsch eines anderen
aus eigenem Bedürfnis heraus zu erfüllen. Alles
andere macht Gott nur wütend.
Andrea - Dann wäre ein aufrichtiges Nein zu Gott Gott also
lieber als ein Ja, was dem, der es sagt, kein Bedürfnis ist,
nicht von Herzen kommt. (Es werden nicht alle zu Gott kommen, die immer
nur „Herr, Herr“ sagen!)
Micha - Vor allem Einhalten von Gottes Gesetz muß das
Gernetun kommen. Gehorsam ist erst dann Gott recht, wenn er von Herzen
kommt, wenn er aus der Liebe heraus entspringt, wenn er durch Lust
motiviert ist. Gehorsam gegen Gott macht Spaß, oder es_ist
falscher Gehorsam, und dann schon Ungehorsam. Und Lust oder Freude ist
ein Ausdruck der Einheit eines Menschen mit sich selbst. Nur der mit
sich einige Mensch, der zu seiner Identität gelangt ist, kann
aus Lust gehorchen.
Man kann Gott verfluchen und ihn gerade darin mit dem Herzen
viel viel stärker anbeten als es je ein Vaterunser
schafft. Denn in jedem Fluch auf Gott bekennt man seine Existenz, indem
man sich ihr entgegenstellt. In jedem Fluch steckt insgeheim die Bitte
um Liebe, steckt Sehnsucht. Und das heimliche Bekenntnis der Sehnsucht
im Fluch ist das Gegenteil von Sünde; Zuwendung zu Gott. Mit
einem nach außen hin völlig gegenteiligem Verhalten
kann das Herz eines Menschen dasselbe ausdrücken:
daß es Gott liebt.
Und das entscheidet über die Gesundheit menschlicher
Beziehungen und der Beziehung zwischen zwei Menschen, von denen der
eine Gott ist, daß sie sich beide von ganzem Herzen, ganzer
Seele und ganzem Gemüte lieben, aus freiester Lust. Wenn das
da ist, dann kann man alles miteinander machen, aber wenn die Lust
fehlt, wird alles zum Krampf, wird müde, schlaff und endet im
Ekel.
Zur Lust kann man niemanden zwingen. Es sei denn, man vergewaltigt ihn
für seine eigene Lust, - und dann wird es erst recht fraglich,
ob Lust da ist. Gottes dringlichster Wunsch an uns ist, daß
wir Lust an ihm haben mögen. Lust läßt sich
nicht befehlen, sondern nur versprechen. Gottes Wort ist das
Versprechen, daß wir Lust an ihm haben werden, wenn wir
anfangen, mit ihm zu leben. Noch mehr; Gott verspricht uns,
daß wir Lust an uns selbst kriegen durch ihn. Gottes
Verheißung der Lust an und mit ihm und uns ist nichts als die
notwendige Kehrseite von Gottes Wut über die Heuchelei der
Formalisten die meinen, mit Einhaltung von Gesetzesvorschriften, die
zudem noch selbstgemacht sind, sei die Sache gelaufen.
Gott will nicht, daß wir Rollen spielen, auch nicht die Rolle
des Frommen. Wir müssen messerscharf trennen zwischen Gottes
Gebot und unseren Gesetzen. Unsere Gesetze der Frömmigkeit,
unser Anstand, unsere Korrektheit, Sauberkeit, Pünktlichkeit,
unser Benehmen nach Knigge, das ist Gott so gleichgültig wie
nur irgendwas. Wir dürfen das niemals als Gehorsam gegen Gott
ausgeben. Gott will das nicht! Er will mehr. Er findet nur Lust an
unserer Lust, auch darin gleicht unser Verhältnis zu Gott den
körperlich Liebenden. Gott pfeift auch auf unsere
Verfassungstreue zur freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Und nun noch was zum störenden Getuschel der Konfirmanden im
Gottesdienst. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Erstens haben Konfirmanden immer viel zu besprechen, sind lebhafter als
die Alten.
Zweitens zeugt das Getuschel dafür, daß die
Konfirmanden die ganze Gottesdienstform und die Predigt nicht
verstehen. Das aber liegt nicht an den Konfirmanden allein, sondern ist
das Versagen des Predigers, der es nicht schafft, das Evangelium seiner
ganzen Gemeinde zu verkündigen.
Drittens: Daß sich die Erwachsenen vom Getuschel der
Konfirmanden überhaupt stören lassen, gibt einigen
Aufschluß über die innere Beteiligung der
Erwachsenen an der gedanklichen Arbeit, die einen guten
Predigthörer vollauf beschäftigt, daß er
überhaupt keine Zeit mehr hat für
Nebengeräusche der Konfirmanden. Am wenigsten ist das
Getuschel noch die Bosheit, denn sie setzen sich noch keine Maske auf
vor Gott und der Gemeinde, sie heucheln noch nicht Interesse an Gott,
wo keines ist. Und das verstehe ich.
Bitte versuchen Sie, meinen Worten in Ihrem Herzen nachzubeten: Lieber
Herr Jesus Christus, der du uns mehr sein willst als ein Herr,
nämlich zugleich Freund, Stellvertreter und Diener, wir danken
dir, daß du uns gezeigt hast, wo die
Maßstäbe für Reinheit liegen: nicht im
sturen Befolgen der Sitten, die schon immer so waren und deshalb auch
so bleiben müssen, sondern in dem Mut, dich in unsere
Lebenserfahrung eindringen zu lassen, von dir glückliches
Leben lernen zu wollen und aus dieser Lust mir dir Lust an uns selbst
bekommen. Führe uns dann weiter zur Erkenntnis dessen, was
getan werden muß, damit alle Menschen von diesem
Glück etwas erfahren und das nicht durch Worte, sondern zuerst
durch Brot, denn die halbe Welt hungert und du hast nie Hungernde mit
Worten abgespeist, sondern mit Brot und Fischen. Dann wird uns Gehorsam
zum Bedürfnis werden, unser Brot zu teilen mit den Hungrigen,
und wenn wirs tun, so zu deinem Gedächtnis. Das wird uns auch
ins Leiden führen, aber ein Leiden, welches nur die Kehrseite
der Liebe zu dir ist. Wir wissen, daß du bei uns bist in
solchen Leiden. Nicht in jedem Leiden, nicht im sinnlosen Leiden.
Laß uns wissen, wann unser Leiden dem Glück der Welt
dient und wann es nur ihrem Untergang zur schönen neuen Welt
von 1984 dient, wo Menschen den Maschinen sich gleich gemacht haben.
Amen.