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Heinrich Ehrhardt – Ein deutscher Erfinder-Unternehmer

Paul Erker stellt die Behauptung auf, dass erst in der NS-Zeit, „mit der Expansion der Flugzeugindustrie“ die „"Techniker-Untermehmer" die Bühne der modernen deutschen Industriegeschichte“ betraten.[1] Zu dieser Behauptung ist kritisch anzumerken, dass der „Techniker-Unternehmer“ (besser „Erfinder-Unternehmer“ oder „Untenehmer-Ingenieur“) eher ein Kennzeichen der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert an sich ist.[2] Das trifft in Deutschland beispielsweise auf Persönlichkeiten wie Friedrich bzw. seinen Sohn Alfred Krupp[3] oder in den USA z. B. auf Thomas Alva Edison[4] zu. Auch Heinrich Ehrhardt war ein solcher Erfinder-Unternehmer des 19. Jahrhunderts.


Abb.1: Heinrich Erhardt (ca. 1922), unterschrieben mit Heinz Ehrhardt

Seine Tätigkeit als Erfinder begann in den 1880er Jahren während seiner Tätigkeit als „Zivilingenieur“[5] in Düsseldorf (Der Titel ‚Diplom Ingenieur‘ ist ein offizieller akademischer Titel. Ehrhardt hatte jedoch nie eine Universität oder Technikerschule besucht, sondern sich die notwendigen mathematischen Grundlagen für Konstruktionsarbeiten durch privaten Nachhilfeunterricht erworben).[6] – Schon während der 1870er Jahre hatte Ehrhardt erkannt, dass praktisch bei der Neukonstruktion einer Maschine Fehler nicht zu vermeiden waren. Er machte daher die exessive Erprobung von Versuchsträgern zu einer Art ‚Erfinderstrategie‘, um die ‚Kinderkrankheiten‘ einer Maschine bereits im Vorfeld auszumerzen (diese ‚Erfinderstrategie‘ Ehrhardts wird von Haussner bestätigt)[7]. Außerdem hatte Erhardt die Brüder Max und Reinhard Mannesmann bei der Entwicklung ihres Rohrwalzverfahrens beobachtet (er konstruierte Werkzeugmaschinen für Mannesmann) und erkannt, dass das Experimentieren mit Fertigungsverfahren zu oft erstaunlichen Fortschritten führte.[8]

Erhardt entschloss sich daher 1878 zur Gründung einer eigenen kleinen Werkzeugmaschinenfabrik in Zella St. Blasii (Thüringen), um dort neue Maschinen und Produktionsverfahren zu entwickeln. Ehrhardts Ziel war es, ein Unternehmen zu errichten, dass sich selber finanzierte und auch die angestrebte Entwicklungsarbeit finanziell tragen konnte. – Den größten Teil des Jahres arbeitete Erhardt weiterhin als Zivilingenieur in Düsseldorf, überließ die Leitung seiner Fabrik erfahrenen Werkmeistern und verbrachte dort nur wenige Monate pro Jahr, in denen er die Versuche durchführte.[9]

Für die Wahl dieses Standortes spielten mehrere Gründe eine Rolle:[10]
  1. Er konnte dort auf einen sehr gut ausgebildeten Facharbeiter-Stamm zurückgreifen.
  2. Zella St. Blasii liegt im Thüringer Wald, einem Mittelgebirge. Dort konnte Wasserkraft anstelle von Dampfmaschinen eingesetzt werden. Dies bedeutete eine erhebliche Kosten-Ersparnis für Erhardt, weil die Brennstoffe eingespart werden konnten.
  3. Die Abgelegenheit von Zella St. Blasii (es besaß zur damaligen Zeit keinen Eisenbahnanschluss), war gleichzeitig ein hervorragender Schutz für die geplante Entwicklungsarbeit vor Industriespionage.

In dem Thüringischen Werk begann Erhardt dann ab Mitte der 1880er Jahre mit Versuchen zur plastischen Verformung von Stahlblechen, die zu der Entwicklung des sogenannten „Verfahrens zum Lochen und gleichzeitigen Formgeben von Eisen und Stahlblöcken in erhitztem Zustande“ führten. Für dieses Verfahren wurde Ehrhardt vom Kaiserlichen Patentamt am 28. Januar 1891 ein Patent erteilt. Diesem folgte am 21. April 1892 ein weiteres Patent für das sogenannte Press- und Ziehverfahren.[11] Die Innovation dieses Verfahrens lag nicht nur darin begründet, dass die Herstellung nahtloser Hohlkörper schnell erfolgen konnte, es ließen sich auch gegossene Vormaterialien geringer Qualität verarbeiten, weil Ehrhardts Verfahren das Material schonte. Es reduzierte somit insgesamt die Produktionskosten.[12]

Im Nachhinein wurden Ehrhardt auch noch eine Reihe von maßgebenden Erfindungen im Bereich des Geschützbaus zugeordnet bzw. maßte er sich diese selber an,[13] die von den beiden ehemaligen Krupp-Ingenieuren Haussner und Koch gemacht worden waren. Eine besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Erteilung von Patenten: Haussner ließ sich für seine Erfindungen, vor und während seiner Tätigkeit für Ehrhardt, Patente auf seine Person ausstellen (D. R. P. Nr. 612224 von 1891,[14] D. R. P. Nr. 95050 von 1896,[15] etc.). Seine Erfinderansprüche wurden 1911 eindrücklich in einer Entscheidung des Reichsgerichts bestätigt.[16] Koch war in diesem Sinne weniger geschickt als Haussner. Zwar erfand er den Schubkurbelverschluss (diese Tatsache wurde sowohl vom Landgericht Eisenach, dem Oberlandesgericht Jena und dem Reichsgericht in Leipzig bestätigt), doch verkaufte er rechtsgültig seine Erfindung für 600,- Mark an Ehrhardt, der am 06.02.1901 das Patent hierfür erhielt (D. R. P. Nr. 138706).[17]

Das wirklich Bemerkenswerte an der Entwicklung der Rohrrücklauftechnik ist, dass sich im ‚Ehrhardtschen Konzern‘, bzw. später bei Rheinmetall, hiermit eine Unternehmenskultur manifestierte, die die Entwicklung technisch innovativer, ‚verrückter‘ Ideen förderte. Auf diese ‚    Technikverliebtheit‘ war Rheinmetall so stolz, dass sie als sogenannter „alter Ehrhardtscher Geist“[18] in der Festschrift zum fünfzigjährigen Firmenjubiläum besondere Erwähnung findet. Sie spiegelt sich aber auch z. B. in einem C.I.O.S.-Bericht über Rheinmetall wieder („...b. It ist the opinion of the German gun designers interviewed that these are freaks,...“)[19] und kann zumindest bis zum Beginn der 1960er Jahre verfolgt werden.[20]


Autor: Christian Brandau - Der Text ist unter der Lizenz „Attribution-NoDerivatives 4.0 International (CC BY-ND 4.0)“ verfügbar.



Einzelnachweise:

[1] Erker, Paul: Industrieeliten in der NS-Zeit – Anpassungsbereitschaft und Eigeninteresse von Unternehmen in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft 1936 – 1945, Passau 1994, S. 29

[2] Hortleder, Gerd / Klages, Helmut, Gesellschaftsbild und soziales Selbstverständnis des Ingenieurs im 19. und 20. Jahrhundert, in: Ingenieure in Deutschland, 1770 – 1990 (Hgg. Grelon, André / Lundgreen, Peter), Frankfurt am Main / New York 1994, S. 269 – 303.

[3] Beyer, Burkhard: Vom Tiegelstahl zum Kruppstahl – Technik und Unternehmensgeschichte von Friedrich Krupp in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen – Schriftenreihe A: Darstellungen Band 34), Essen 2007, S. 594 - 598.

[4] Hughes, Thomas (dt. Übersetzung von Baron von Koskull, Hans Jürgen): Die Erfindung Amerikas – Der technologische Aufstieg der USA seit 1870, München 1991, S. 30 – 33.

[5] Ehrhardt, Heinrich: Hammerschläge – 70 Jahre deutscher Arbeiter und Erfinder, Leipzig 1922, S. 40, [im Folgenden zitiert: Ehrhardt: Hammerschläge].

[6] Ebd., S. 16 – 17.

[7] Haussner, Konrad: Das Feldgeschütz mit langem Rohrrücklauf – Geschichte meiner Erfindung, Berlin / München 1928, S. 112, [im Folgenden zitiert: Haussner: Das Feldgeschütz mit langem Rohrrücklauf].

[8] Ehrhardt: Hammerschläge, S. 41 - 42.

[9]
a) Die Geschichte unserer Geschichte. Chronik der Rheinmetall AG, Düsseldorf 2004, S. 3.
b) Ehrhardt: Hammerschläge, S. 42 und 54.

[11]
a) Die Geschichte unserer Geschichte. Chronik der Rheinmetall AG, Düsseldorf 2004, S. 4.
b) Erhardt: Hammerschläge, S. 49 - 51.

[12]
a) Erhardt: Hammerschläge, S. 49, 51 und 53.
b) Wessel, Horst A.: Kontinuität im Wandel – 100 Jahre Mannesmann 1890 – 1990 (Hg. Mannesmann AG), Gütersloh 1990, S. 87 -88.

[13] Haussner: Das Feldgeschütz mit langem Rohrrücklauf, S. 106.

[14] Ebd., S. 102.

[15] Ebd., S. 70.

[16] Reichsgerichtsentscheidung I588/10 – 8 vom 05. Dezember 1911, in: Haussner: Das Feldgeschütz mit langem Rohrrücklauf, S. 109 – 110.

[17] Haussner: Das Feldgeschütz mit langem Rohrrücklauf, S. 99 und 116.

[18] 50 Jahre Rheinmetall Düsseldorf 1889 – 1939 (Hg. Rheinmetall-Borsig Aktiengesellschaft), Düsseldorf 1939, S. 65.

[19] Parr, A. / Smith, F.V.: Artillery Design and Development Performed by Rheinmetall-Borsig (C.I.O.S. Report File No. XXXI-12), ohne Ort : 1. September 1945, S. 15.

[20] Ludwig, Hans, Grundsätzliches über Firmenentwicklungen von Waffen und Munition, in: Wehrtechnische Monatshefte – Zeitschrift für Wehrtechnik, Wehrindustrie und Wehrwirtschaft, 7/1960, S. 283 – 295.


Bildnachweise:

Abb. 1: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ERHARDT(1923)_Hammerschläge_(Frontispiece)_Heinrich_Erhardt_(1840-1928).jpg – Metilsteiner [Public domain]


(c) 2011 –  Christian Brandau